Textstellen

Auf der Moosseite der Stadt

Monika Littau über den Alten Friedhof Bonn.

Trittst Du vom Grau des Gehwegs durch das Tor in den eingefriedeten Hof, bleibt der Lärm der Straße zurück. Du stehst an der Spitze des Friedhofdreiecks auf der mooszugewandten Seite der Stadt. Im Dunkeln und Feuchten gedeiht das Grüne, wächst in kleinen Buckeln auf den Kopfseiten der Steine, überzieht raue Grabplatten vollständig. Denkmäler zeigen nicht mehr gerade zum Himmel. Sie neigen sich der Erde zu, kippen nach vorn oder nach hinten. Und auch die Kreuze haben oftmals einen Arm verloren. Mit nur einem Flügel steht ein Engel erdgebunden da, erinnert an moderne Skulpturen.

Auf mancher Gruft leuchtet ein Lämpchen. Jüngere Kissensteine und Kreuze belegen, der bereits 1884 geschlossene Friedhof ist noch in seinem Totenkult ein wenig lebendig. Familiengräber, Patengräber, Ehrengräber – dort wird weiter beerdigt. Viel lebendiger als unten geht es in den Wipfeln der Platanen zu. Dort machen Halsbandsittiche Radau, flattern Tauben zwischen den Ästen. Unten auf den Wegen gehen die Menschen geräuschlos: Angehörige, Ruhesuchende, Kulturinteressierte beugen sich über Karten und Inschriften, buchstabieren, sinnieren, fotografieren.

Auf dem Friedhof blieb erhalten, was von Wohlstand und Wissen zeugte. Medaillons von Astronomieprofessor Argelander, Theologieprofessor Baltzer, Chirurgieprofessor Busch, Geschichtsprofessor Dahlmann usw. Allein der Begründer der modernen Geschichtswissenschaft, Professor Barthold Georg Niebuhr, ließ sich gemeinsam mit seiner Frau in einem römisch-antikisierenden Relief abbilden. Auch im Schumann-Denkmal von Adolf Donndorf kommt unter Roberts Medaillon seine Frau Clara vor. Die Komponistin und Musikerin stand für eine Robert anhimmelnde Muse Modell.

Du suchst nach den Dichterinnen und Dichtern, den Literaturgeschichten des Ortes, findest Wilhelm Schmidtbonn, den Verfasser des Romans „Der dreieckige Marktplatz“. Findest Ernst Ludwig Arndt, Autor vom „Gott, der Eisen wachsen ließ“, im Tod mit milden Versen: „DIESEN ABSTIEG DEN ICH THU / IN DIE ERDE NIEDER / SEHT DIE SONNE GEHT ZUR RUH / KOMMT DOCH MORGEN WIEDER“.

Findest das Grab von Charlotte Schiller, der Witwe von Friedrich. Sie starb 1826 unerwartet während eines Aufenthalts bei ihrem Sohn Ernst nach einer Augenoperation.

Ihrem Cousin Clemens, der unter einer Alabasterfigur des heiligen Paulus ruht, widmete die Droste das Gedicht „An seinem Denkmal saß ich …“, das mit den Zeilen endet: „Wo gibt es einen Vater, einen Gatten, / Und einen Freund wie du gewesen bist!“ Die westfälische Dichterin sei das „geistreichste Wesen“, das sie unter Frauen kenne, betonte Adele Schopenhauer. Adele, die wie ihre Mutter Johanna Schriftstellerin wurde und nach ihrem Tod mehr denn je auf die Einnahmen aus ihrer freiberuflichen Arbeit angewiesen war, hatte die Droste im Salon der „Rheinfürstin“ Sibylle Mertens-Schaaffhausen kennengelernt. Die Inschrift auf dem Grabstein der Dichterin ist in Italienisch verfasst. „Luise Adelaide Lavinia Schopenhauer“ – so ihr vollständiger Name – „ausgezeichnet mit Gemüt, Geist und Talent, eine vortreffliche Tochter mit unverbrüchlicher Liebe ihren Freunden zugetan, sie erduldete mit edler Seelengröße viele Schicksalsschläge …“, lautet die Übersetzung. Den Platz auf dem Alten Friedhof dankt Adele ihrer großzügigen und wohlhabenden Freundin und Lebensgefährtin Sibylle.

Vita

Monika Littau wurde in Dorsten/Westfalen geboren und hat die überwiegende Zeit ihres Lebens im Ruhrgebiet gelebt und gearbeitet. Beruflich war sie zuletzt bereits Westfalenflüchtling und ins Rheinland nach Düsseldorf abgewandert. Nach Bonn und in die Nähe der Stadt brachte sie das schönste Motiv, das auch in der Literatur eine Hauptrolle spielt, nämlich die Liebe.