Textstellen

Anekdote zur Arbeits­moral

Husch Josten über den Kölner Rheinauhafen und eine seiner schillerndsten Figuren.

Irgendwo muss es sein. Im Schlick. In dieser lauwarmen Schwärze. Zwischen den Ankerketten. Weiter weg, er hört den Motor dumpf in der Tiefe, fährt ein Frachter flussaufwärts. Ruhig bewegt Karl-Heinz die Hand durchs Wasser, ertastet das Mobiltelefon auf dem Grund. Ausgezeichnet. Wieder einen Kölner glücklich gemacht. Die flattrigen Hände der Hafenbesucher wollen ihm seit Jahren nicht in den Kopf. Manchmal stellt er sie sich als Kinder vor; Kinder, die forschend beobachten, was der Fluss außer Schiffen trägt und was er vor allem nicht trägt: Steine, Schmuck, Fahrräder, Schlüssel und, besonders gern, Mobiltelefone. Vielleicht werfen die Erwachsenen ihre Telefone ins Hafenbecken, um zu beobachten, wie das dunkle Wasser des Rheins sie verschwinden lässt. Vielleicht geht es um Unerreichbarkeit, das könnte sein, so sehr sie der Verlust der Erreichbarkeit sogleich in Verzweiflung stürzt. Aber er, Karl-Heinz, erreicht die Telefone immer. Er findet sie bei jeder Wetterlage, obwohl man im Hafenbecken als Taucher die Hand nicht vor den Augen sieht; der Fluss macht blind. Doch dieses Becken kennt er seit vierzig Jahren. Es ist seins, seit er nach Jahren auf hoher See (von Hamburg nach Nordafrika, Südamerika, in die Staaten) und nach anderthalb Jahren auf einem Feuerlöschboot in Dormagen (eine Wasserleiche, ein Brand, sonst nichts, lähmendes Nichts) 1981 als Hafenmeister in Köln strandete. Er kannte diesen Hafen schon, als nicht mal zwanzig Boote darin vertäut lagen. Als man darüber nachdachte, das Becken zuzuschütten. Als keine Wohn- und Bürohäuser drumherum standen, sondern Bäume. Als er auf den Schrottpontons aus dem Krieg den Steg entlanggehen und ins Wasser schiffen konnte, ohne dass ihn jemand dabei beobachtet hätte. Jetzt kann er keinen Schritt auf dem 300 Meter langen Steg tun, ohne gesehen zu werden. Er schifft seit langem nur noch auf der Toilette in den renovierten Sanitärräumen, wo es auch Duschen und Waschmaschinen für die Eigner der jetzt 150 Boote gibt. Das von Schäfer’s Nas, dem alten Zuhälter, ist nicht mehr dabei, und Karl-Heinz eigentlich schon in Rente. Die puffige Colorado ist weg. Dabei hat Karl-Heinz sie mal gerettet, an Weiberfastnacht, er feierte in einer Kneipe, da kam der Notruf. Die Colorado, ausgerechnet, schon halb unter Wasser. Seine Frau, die mal Stewardess auf einem Flusskreuzfahrtschiff war, ist einverstanden, dass Karl-Heinz immer noch arbeitet. In der Marina muss man zur Stadt aufschauen, irgendwo hinter der Drehbrücke die Domspitzen. In Köln und doch nicht. Auf dem Wasser und doch mit beiden Beinen mitten in der Stadt, in einem graublauen Zwischenreich, in das allerhand fällt, aber dank Karl-Heinz nicht verloren geht, in dem allerhand passiert, aber dank Karl Heinz nichts allzu Dramatisches. Der Rhein ist gefräßig. Schnell. Eine vielbefahrene Wasserstraße. Keine Ruhe. Von Köln nach Mainz? Aus der Zeit gefallene Romantik. Spätestens ab Budenheim ist’s aus mit der Boppard-Idylle. Karl-Heinz sitzt im Hafen. Die Sonne scheint. Enten quaken vorbei. An der Rheinuferstraße stehen die Ampeln auf Grün. Irgendwo klingelt ein Mobiltelefon.

Vita

Husch Josten wurde 1969 in Köln geboren, wuchs im Kölner Süden auf und studierte Geschichte und Staatsrecht in ihrer Heimatstadt und Paris. Sie arbeitete zunächst als Journalistin in beiden Städten, dann auf der anderen Seite des Tisches als Pressechefin der Kölnarena, bevor sie nach London zog, wo sie für verschiedene Magazine und Tageszeitungen und auch ihren Debütroman In Sachen Joseph schrieb. Es folgten weitere Romane sowie Auszeichnungen, unter anderen der Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung. Husch Josten geht gern am Rhein spazieren, liebt den Rheinländer an sich, lebt und schreibt in Köln und Paris und bleibt von der Hässlichkeit und Liebenswürdigkeit der Domstadt fasziniert.