Autor*innen-Porträts

Helene Stöcker

13. November 1869 – 24. Februar 1943

Helene Stöcker
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Autorin und Ort

Helene Stöcker wurde am 13. November 1869 in Elberfeld geboren, das inzwischen zu Wuppertal gehört. Ihr Geburtshaus lag an der Schwanenstraße 5, ist allerdings nicht mehr erhalten. Von 1879 bis 1889 besuchte sie die städtische Höhere-Töchter-Schule, die heutige Herder-Schule. Stöcker verließ 1982 ihr Elternhaus und zog nach Berlin, wo sie sich der erstarkenden Frauenbewegung anschloss. Auf Inititiave der Wuppertaler Armin T. Wegner Gesellschaft wurde zu ihren Ehren 2014 ein Denkmal in der Schulstraße errichtet. Außerdem ist ein Uferabschnitt der Wupper nach der Frauchenrechtlerin und Freiheitskämpferin benannt.   

Leben und Werk

Helene Stöcker kämpfte zeitlebens in einer patriarchalisch geprägten Gesellschaft für die Rechte und die Unabhängigkeit der Frauen. Diese forderte sie nicht nur ein, sondern lebte sie vor. Mit 23 Jahren verließ sie das gutbürgerliche Elternhaus und absolvierte in Berlin eine Ausbildung zur Lehrerin, einer der wenigen Berufe, die Frauen damals offenstanden. 1896 nahm sie dann an der Universität Berlin ein Studium der Germanistik, Philosophie und Ökonomie auf, obwohl Frauen nur im Status einer Gasthörerschaft an den Vorlesungen teilnehmen durften und dies auch nur, wenn der jeweilige Professor dazu sein Einverständnis gab. Das allgemeine Recht zum Studium erlangten Frauen in Preußen erst 1908. Stöcker ging deshalb ins Ausland und konnte 1901 an der Universität Bern sogar zur Doktorin der Philosophie promovieren. Danach lehrte sie an einer Hochschule in Berlin und hielt Vorträge über Frauenrechte.

Neben ihren Studien schrieb Helene Stöcker Gedichte und Novellen, die in verschiedenen Zeitschriften erschienen. Programmatisch wurde ihr Roman mit dem Titel Liebe, der 1922 in München veröffentlicht wurde. Dieser handelt von der Beziehung zwischen einer Studentin und einem verheirateten Professor auf der Grundlage von freier Liebe und persönlicher Autonomie. In diesem Sinne verfasste Stöcker auch eine Vielzahl von Artikeln, die später unter Titeln wie Die Liebe und die Frauen als Bücher herausgegeben wurden.  

Die gesellschaftliche Anerkennung von Sexualaufklärung, Verhütung, Abtreibung und freier Liebe jenseits der Ehe sowie Homosexualität wurden zu Stöckers Lebensthemen. Sie setzte sich für die Unterstützung lediger Mütter ein, die damals vielfach als sogenannte „gefallene Mädchen“ diskreditiert wurden und gründete 1905 den „Bund für Mutterschutz und Sexualreform“. Daraus erwuchs eine internationale Vereinigung, der Helene Stöcker bis 1933 vorstand. 

Den Ersten Weltkrieg lehnte sie als Barbarei ab und bekannte sich öffentlich zum Pazifismus. Nach dem Krieg engagierte sie sich auch international auf der Seite der Kriegsgegner. Als die Nationalsozialisten 1933 die Macht übernahmen, floh sie zuerst nach Schweden, später über Umwege in die USA. 1943 starb sie in New York.

Von Ernst Müller

Die Liebe und die Frauen (Auszug)

Die Menschheit hat im Laufe der Entwickelung ihre köstlichsten Errungenschaften oft wieder für Jahrhunderte scheinbar verloren, bis ein neues Geschlecht kam, mit der gleichen starken Sehnsucht nach den verloren gegangenen Schätzen und sie wieder entdeckte. Vielleicht aber hat dieses neue Geschlecht auch noch dazu gelernt; es vermag die alten Errungenschaften noch zu verbinden mit neuen. Und so dürfen auch wir hoffen, wenn wir jetzt einen alten und doch ewig neuen Kampf kämpfen, daß wir im Laufe der Zeit einiges dazu bekommen werden, das uns Aussicht auf dauernderen Erfolg gibt, als ihn unsere Vorgänger vielleicht haben konnten. Uns kommen, so glaube ich, die allgemeinen sozialen Verhältnisse zugute. Man möchte glauben, daß nun die Zeit für diese Dinge reif sei. Denn das ist vielleicht in dieser Art doch ein Neues in der Geschichte, daß die Frauen als solche nun mitbeginnen, ihre Geschicke in die Hand zu nehmen. Wohl hörten wir schon aus dem Spott des Aristophanes über den Weiberstaat, wohl wissen wir aus der Geschichte der römischen Kaiserzeit, daß auch auf jenen Höhen der Kultur die Frauen sich zusammenschlossen zur Erringung größerer Rechte. Aber heute ist der Unterschied doch vielleicht der, daß die Frauen nicht nur größere Rechte für sich beanspruchen, sondern daß sie mitschaffen wollen an der allgemeinen höheren Entwickelung, daß Mann und Frau sich nicht mehr als Feinde gegenüber stehen, sondern daß sie anfangen zu begreifen, daß der eine Teil sich nicht wahrhaft entwickeln kann auf Kosten des andern.

(aus: Helene Stöcker: Die Liebe und die Frauen. Ein Manifest der Emanzipation von Frau und Mann im deutschen Kaiserreich. Verlag J.C.C. Bruns, Minden 1906.)