Leben und Werk
Nicht selten verbirgt sich hinter Witz und Skurrilität eine ungenannte Trauer. So mag es auch bei Hermann Harry Schmitz, geboren 1880 in Düsseldorf, gewesen sein, der seine bürgerliche Umwelt in beißenden Satiren aufs Korn nahm und persönlich an einer unheilbaren Krankheit litt.
Der Sohn eines Fabrikdirektors besuchte in Düsseldorf das Realgymnasium, bis bei dem 16-Jährigen Tuberkulose diagnostiziert wurde. Eine lebensbedrohliche Krankheit, gegen die es damals kein wirksameres Heilmittel gab als eine Luftkur, die er auf Korsika verbrachte. Nach der Rückkehr und dem Abschluss seiner Mittleren Reife schlug Schmitz eine kaufmännische Laufbahn ein.
Seine Liebe aber galt der schalkhaften Literatur. Die erste Veröffentlichung 1906 erfolgte gleich im bekannte Münchener Satireblatt Simplicissimus. In den folgenden Jahren bis zu seinem frühen Tod 1913 verfasste Schmitz seine Satiren dann für den Düsseldorfer „General-Anzeiger“. Später wurden diese zu Büchern zusammengefasst und erschienen in den Verlagen von Rowohlt und Kurt Wolff, in letzterem 1916 unter dem Titel Buch der Katastrophen. Es sind Kurzgeschichten über alltägliche Themen, die sich im Verlauf der zugespitzten Handlung ins Groteske steigern. So artet der Kauf einer Bluse im mehrstöckigen Warenhaus zu einer Odyssee aus und entlarvt zugleich die Eitelkeit der Käuferin. In einer anderen Geschichte wird ein Straßenbahnfahrgast mit übertriebenem Helfersyndrom zum Opfer seiner eigenen guten Absichten. Neben solch skurrilen Feuilletons schrieb Schmitz auch kleine Stückchen für studentische Theateraufführungen. Ein früher Einakter von 1907 spielt in einer Nervenheilanstalt beim Besuch eines Königs. Noch bei der Generalprobe wurde die Aufführung wegen Majestätsbeleidigung untersagt. Bücher mit seinen Texten wurden durch die Jahrzehnte hindurch immer wieder neu aufgelegt.
Hermann Harry Schmitz, der seit seinem ersten Bucherfolg 1911 als freier Schriftsteller lebte, trat auch gern als dandyhafter Conférencier bei Veranstaltungen auf. Wegen seiner Tuberkulose-Erkrankung musste er aber immer wieder Sanatorien aufsuchen. Im Kurort Bad Münster am Stein nahm er sich schließlich das Leben.
Von Ernst Müller
Vereinfachung im Eisenbahn-Verkehr – Eine Katastrophe
Der Vater will nach Cottbus. Er hat die Fahrkarte Berlin-Cottbus. Die Fahrkarte nützt dem Vater nichts. Der Vater ist ratlos.
Die Fahrkarte gilt für den Eilzug. Der Eilzug ist schon fort. Der Vater will in den Schnellzug steigen. Der Vater darf es nicht. Der Vater weint. –
Ein Schnellzug ist kein Eilzug. Wenn man schnell ist, eilt man nicht. Wer eilt, ist nicht schnell. Die Eile ist langsam. Der Vater hat Eile, will mit dem Schnellzug fahren. Das darf er nicht. Der Vater reißt sich ein Büschel Haare aus. –
Die Fahrkarte des Vaters hat keinen Längsstrich. Hätte sie einen Längsstrich, so könnte er mit dem Schnellzug fahren. Der Längsstrich ist rot. Der Vater braucht Zuschlagskarten. Es gibt Zuschlagskarten mit breiten Längsstreifen. Der Streifen ist gelb. Der Streifen ist manchmal grün. Der Streifen kann auch braun sein. –
Der Vater geht an den Schalter. Der Vater kauft eine Zuschlagskarte. Der Vater hat einen braunen Streifen. Der braune Streifen nützt dem Vater nichts. Der braune Streifen gilt bis Lübben. Der Vater will nach Cottbus. Der Vater hat in Lübben nichts zu tun. Die Sache geht nicht. Der Vater rennt mit dem Kopf gegen die Wand. –
Der Vater muß eine andere Zuschlagskarte haben. Er braucht einen grünen Streifen. Der Vater will eine Zuschlagskarte bis Cottbus. Eine Zuschlagskarte bis Cottbus gibt es nicht. Der Vater muß eine Zusatzkarte bis Schleife kaufen. Der Vater will nicht nach Schleife. Der Vater hätte eine Sammelkarte nehmen müssen. Der Vater hat das nicht gewußt. Der Vater wird tobsüchtig. –
Man bringt den Vater in die Irrenanstalt. Der Vater wird von den Wärtern totgeprügelt. Der Vater kommt in den Himmel. Die Strecke nach dem Himmel ist über 150 Kilometer. Der Vater braucht hierzu keinen roten Längsstrich und keinen bunten Streifen und keine Sammelkarte. Der Vater frohlockt über diese Vereinfachung.
(aus: Hermann Harry Schmitz: Vereinfachung im Eisenbahn-Verkehr – Eine Katastrophe. In: Der Querschnitt, Heft 1. Propyläen-Verlag, Berlin [u.a.] 1921, S. 80.)