Autor*innen-Porträts

Hans Müller-Schlösser

14. Juni 1884 – 21. März 1956

Hans Müller-Schlösser
© Stadtarchiv Düsseldorf

Autor und Ort

In seiner Heimatstadt Düsseldorf ist Hans Müller-Schlössers bekannteste Figur, der schlaue Schneider, natürlich vor allem in der Schneider-Wibbel-Gasse präsent: Mit gekreuzten Beinen sitzt er in einer Wandnische, und die abgegriffenen Knie und Ellenbogen der Bronzeskulptur bezeugen, dass der darunter stehenden Aufforderung gerne Folge geleistet wird:

Streichel den Wibbel ein kleines Stück

und du wirst sehen, er bringt dir Glück.

Am hinteren Ende der Gasse tritt er fünfmal am Tag aus einem Glockenspiel hervor, und wenige Schritte weiter am Burgplatz befindet sich die 1987 von Engelbert Oxenfort gegründete Schneider-Wibbel-Akademie, an der mit viel „Spass an der Freud“ der Düsseldorfer Dialekt studiert werden kann. Geboren wurde der Urdüsseldorfer natürlich in der Altstadt, und zwar in der Rheinstraße gegenüber seiner Stammkneipe „Uerige“, wo ihm zu Ehren die Schneider-Wibbel-Stube eingerichtet wurde. Ein großes Bronzerelief trägt die Inschrift: „Am Rhein bin ich geboren in Düsseldorf – am 14. Juni 1884 auf der Rheinstraße Nummer 10, Hinterhaus Zweiter Stock. Mit Düsselwasser bin ich getauft, der Rhein tränkt meine Wurzeln und ich würde vertrocknen, wenn ich mich in ein anderes Erdreich verpflanzen würde“.

Leben und Werk

Hans Müller-Schlösser wurde am 14. Juni 1884 in Düsseldorf geboren; sein Vater war Seefahrer und Müller-Schlösser schrieb später, das Tagebuch seines Vaters habe seine Phantasie angeregt und wohl den Grundstein gelegt für seine Lust, Geschichten zu erfinden und aufzuschreiben.

Als Jugendlicher besuchte Müller-Schlösser das Königliche Gymnasium in Düsseldorf. Schon während dieser Zeit organisierte er gemeinsam mit seinen Jugendfreunden Paul Henckels, Peter Esser und Heinrich Spoerl Schulaufführungen. Auch die anderen drei waren später als Schauspieler und Schriftsteller erfolgreich; Henckels führte 1931 sogar in der ersten Verfilmung des bekanntesten Werkes von Müller-Schlösser Schneider Wibbel Regie und spielte die Hauptrolle.

Zunächst arbeitete Müller-Schlösser als Drogist und in der Kanzlei des Düsseldorfer Rathauses; beides brach er ab und wurde Lokalreporter für die „Düsseldorfer Neuesten Nachrichten“. Nebenbei schauspielerte er. Ab 1905 veröffentlichte er eigene Texte.

Nachdem er das Manuskript seines Bühnenstücks Schneider Wibbel bereits im Winter 1910/11 erstmals vergeblich dem Düsseldorfer Schauspielhaus angeboten hatte, wurde es 1912 schließlich angenommen und am 14. Juli 1913 uraufgeführt. Ein Vierteljahrhundert später gestaltete er sein Lustspiel zu einem Opernlibretto für den Komponisten Mark Lothar um. Der erst 29-jährige Schriftsteller landete mit dem Stück einen Riesenerfolg, den er trotz größter Produktivität nie wiederholen konnte: Tausende von deutsch- und fremdsprachigen Aufführungen, drei Verfilmungen, eine Musiktheater-, eine Ballett- und eine Musicalbearbeitung sind in der Folge entstanden.

Mitten in der Düsseldorfer Altstadt liegt die Schneider-Wibbel-Gasse mit der Bronzedarstellung des Schneider Wibbel. Die Figur aus dem beliebten Volksstück hatte sich während der französischen Besatzung in leicht angetrunkenem Zustand nicht besonders napoleonbegeistert gezeigt, und sich mit einer List vor der drohenden Strafe gerettet. Der Schneider avancierte zum Lokalheld, und bis zu 800 Mal soll Hans Müller-Schlösser seinen Protagonisten auf der Bühne dargestellt haben. In der Flinger Straße 11-17 hatte Müller-Schlösser sein „Kleines Volkstheater“ gegründet.

Kurz nach der Veröffentlichung seiner persönlichen Erinnerungen an seine Theatererfahrungen mit dem Titel Tinte und Schminke verstarb Müller-Schlösser am 21. März 1956 in seiner Geburtsstadt Düsseldorf. Er wurde auf dem Nordfriedhof beigesetzt.

Müller-Schlösser veröffentlichte über vierzig Bühnenstücke, Gedichtbände und Erzählungen sowie Bücher zur Düsseldorfer Heimatgeschichte – natürlich op Platt!

Von Maren Jungclaus

Schneider Wibbel (Dramenauszug, 1913)

„Pscht!“ wiederholte der Wirt. „Meister Wibbel, schreit nit so. Räsoniert, worüber Ihr wollt, bloß nit über Politik. Schreit in Euren eigenen vier Wänden, wenn sie dick genug sind. Bei mir hat jeder Fidibus Ohren.“

„Ist mir egal“, rief Wibbel und putzte sich den Bierschaum aus dem Bärtchen. „Ich sag‘, was sind das alles für Leut‘, die Prinzen und die Marschälle. Früher liefen sie herum wie die Vagabonden, und jetzt sind ihre Habits steif vor Gold und Silber, das sie sich draufgehängt haben. Wie ein nasser Lappen hing ihnen früher der Magen im Leib, und heut böken sie, wie die Küh‘ machen, wenn sie satt sind. So arm waren sie wie eine Laus auf einem Platekopf“ – dabei klatschte er dem neben ihm sitzenden Krönkel auf die Glatze, „und jetzt schmeißen sie mit dem Geld um sich herum, als ob es der reine Dreck  wär‘.“ Mit einer weitausholenden Armbewegung warf er sein Bierglas um.

„No, und wie sind sie drangekommen? Zusammengeräubert haben sie’s, gestohlen haben sie’s, die Spitzbubengesellschaft. – Und wer kommandiert die ganze Sippschaft? Wer ist der größte von ihnen, he?“

Er zog sich das Haar in die Stirn, legte die linke Hand auf den Rücken, schob die Rechte in die Uniformweste und schaute mit düsterem Gesicht in die Runde.

Die anderen gröhlten vor Vergnügen, aber Krönkel zog Wribbel auf den Stuhl und raunte ihm ins Ohr:

„Hast du denn heut den Teufel im Leib, Wibbel? Wenn deine Maulfechterei ein Franzos hört, kommst du ins Kaschott.“

Aber die Warnung kam zu spät, denn der französische Beamte, der mit Heubes hereingekommen war und am Schranktisch stand, drehte sich nach Wibbel um und trat näher.

„He, Monsieur Sneider“, sagte er und runzelte die Stirn, „ick bin ein Franzose und ick mir nikt laß verschimpfier mon empereur.“

Wibbel schlug auf den Tisch in die Bierlache, daß es spritzte, und rief:

„Ist mir egal! Ich flöt‘ auf den ganzen Amprör!“

„Er wird sick noch überleg‘ das Flöt auf den Empereur!“

„Hehe“, meckerte Wibbel und versuchte, den Franzosen nachzuahmen, „überleg? Nix überleg, Herr Musjö! Bagage seid ihr alle!“

„Jetzt bist du still, Wibbel!“ zischte ihm Krönkel zu und wollte ihn wieder auf den Stuhl ziehen, aber Wibbel schüttelte ihn von sich ab und krähte:

„Ich bin nicht still“, und schrie dann den Franzosen an: „Wanzenvolk! Wie seid ihr hergekommen, he? Die Ohren standen euch vom Kopf ab vor Hunger. Alle Knochen konnte man euch zählen trotz den dreckigen Lappen, die ihr drumgewickelt hattet. Bei uns habt ihr euch wieder sattgefressen. Bei uns habt ihr wieder anständig Zeug auf den Leib gekriegt. Jetzt, wo ihr lecker im Fett drin sitzt, habt ihr leicht den dicken Wellem spielen. Das findet aber noch mal ein End‘, Herr Musjö. Das schönste Fett wird auch mal ranzig.“

Pustend ließ sich Wibbel auf den Stuhl fallen, trank in einem Zug sein Glas leer und schaut sich im Kreise um, weil er begeisterte Zustimmung erwartete. Aber die anderen saßen da mit bedenklichen Mienen, sie duckten den Kopf zwischen den Schultern, der eine oder andere schnitt ein Gesicht, kratzte sich hinter den Ohren oder machte Miene aufzustehen und sich zu verdrücken.

(zitiert nach: Hans Müller-Schlösser: Schneider Wibbel. Eine völkstümliche Erzählung aus dem alten Düsseldorf. Droste Verlag, Düsseldorf 2007. S. 22-29.)