Autor*innen-Porträts

Irmgard Keun

6. Februar 1905 – 5. Mai 1982

Irmgard Keun
© picture-alliance / ullstein bild

Autorin und Ort

Irmgard Keun zog 1913 als Kind mit ihrer Familie von Berlin nach Köln, wo sie das Haus in der Eupener Straße 19 bezogen. Sie kehrte nach verschiedenen Stationen immer wieder in die Stadt zurück, lebte nach dem Krieg zeitweise in ärmlichsten Verhältnissen in einem Schuppen auf einem Ruinengrundstück in Braunsfeld. Von 1975 bis zur Mitte des Jahres 1977, nach der Entlassung aus der Psychiatrie, wohnte sie zurückgezogen in Bonn in der Breiten Straße 115. Dort wurde 2020 eine Gedenktafel für die Schriftstellerin angebracht. Ab 1977 wohnte Keun in einer kleinen Wohnung in der Kölner Trajanstraße 10. 1982 starb sie in Köln und wurde auf dem Melaten-Friedhof beerdigt. Im Fi­gu­ren­pro­gramm des Rat­haus­turms ist sie durch ei­ne Sand­stein­plas­tik ver­ewigt. Ihr kunstseidenes Mädchen wurde 2003 das erste „Buch für die Stadt“.

Leben und Werk

Das Geburtsdatum von Irmgard Keun war lange umstritten, da sie sich bei Angaben zu ihrer Biografie nach Belieben älter oder jünger gab. Mittlerweile steht fest, dass sie am 6. Februar 1905 in Charlottenburg geboren wurde. In den 30er Jahren war sie die meistgelesene deutsche Schriftstellerin und gilt als eine der großen Autorinnen der Neuen Sachlichkeit.

1913 übersiedelte Keun mit ihren Eltern und ihrem Bruder nach Köln, wo sie die mittlere Reife erwarb und eine Handelsschule besuchte. Als 20-Jährige nahm sie Schauspielunterricht, jedoch ohne Erfolg, weshalb sie den Wunsch, Schauspielerin zu werden, begrub und sich auf Anraten von Alfred Döblin dem Schreiben zuwandte.

Ihren ersten Roman Gilgi, eine von uns veröffentlichte Keun 1931 und wurde über Nacht berühmt. Mit ihrem zweiten Roman Das kunstseidene Mädchen konnte sie nur ein Jahr später an den Erfolg anknüpfen. Dabei kursierten Gerüchte, sie habe darin Teile von Robert Neumanns Roman Karriere abgeschrieben. Er selbst distanzierte sich rund 30 Jahre später von den Vorwürfen.

Im Zuge der „Aktion wider den undeutschen Geist“ der Nationalsozialisten wurden ihre Bücher 1933 verboten. Alle Versuche, in den „Reichsverband deutscher Schriftsteller“ aufgenommen zu werden und wieder schreiben zu dürfen, scheiterten, weshalb sie in die Niederlande emigrierte. Bei dieser Gelegenheit trennte sie sich von ihrem Mann Johannes Tralow nach einem Jahr Ehe. Im Exil entstanden unter anderem die Romane Kind aller Länder und Nach Mitternacht.

1940 nutze sie eine Falschmeldung über ihren angeblichen Selbstmord, um unbemerkt nach Köln zurückzukehren, wo sie sich bis Kriegsende aufhielt. Keun schrieb für Zeitungen, an ihre früheren literarischen Erfolge konnte sie nicht anknüpfen. Aus ihrer Freundschaft zu Heinrich Böll entstand die Idee, einen fiktiven Briefwechsel für die Nachwelt zu produzieren. Das Vorhaben scheiterte jedoch, da kein Verlag interessiert war.

Zeitweise lebte Keun in ärmlichen Verhältnissen und geriet in eine Medikamenten- und Alkoholsucht, bis sie 1966 entmündigt und in eine Psychiatrie in Bonn eingewiesen wurde. Erst sechs Jahre später konnte sie diese verlassen. Nach fünf weiteren Jahren in Bonn zog sie 1977 zurück nach Köln.

Nachdem der Stern 1977 ein Porträt über Keun veröffentlichte, geriet sie erneut in den Fokus der Öffentlichkeit. Ihre Bücher wurden neu aufgelegt und der Erfolg kam zurück. Insbesondere die feministische Literaturkritik entdeckte ihre gesellschaftskritischen, scharfsinnigen und teils ironischen Texte.

Am 5. Mai 1982 starb Irmgard Keun im Alter von 77 Jahren an Lungenkrebs.

Von Leonie Bauerdick

Das kunstseidene Mädchen (Romanauszug, 1932)

Und ich ging allein und hatte in meinem Herzen die Brillanten von geküßter Dummheit, die ich nicht essen konnte. Und hatte mir von meinem letzten Geld ein braunes Honigkleid gekauft mit gleitenden Falten, so sanft und ernst, wie Frauen vergessen zu lachen, wenn sie einer küßt, den sie mögen.

Wenn Tillis Mann kommt, werde ich fortmüssen, wovor ich kalte Angst habe. Weniger wegen der Wohnungsnot, als weil ich dann niemand habe. Und Berlin ist sehr großartig, aber es bietet einem keine Heimatlichkeit, weil es verschlossen ist. Und das kommt auch, weil es unter den Menschen hier ganz kolossale Sorgen gibt, und daraufhin haben sie alle mit weniger Sorgen kein Mittel, aber mir sind sie schwer genug. – […]

Ich habe eine Angst, ich könnte wie dem Ranowsky seine Weiber werden. Berlin verursacht mir Müdigkeit. Wir haben gar kein Geld, Tilli und ich. Wir liegen im Bett wegen Hunger. Und ich habe Verpflichtungen an Therese. Arbeiten kann ich nur mit Schwierigkeiten, weil ich ja keine Papiere habe und darf auf keiner Polizei gemeldet werden, denn ich bin doch auf der Flucht. Und man wird schlecht behandelt und ganz billig, wenn man sich anmerken läßt, daß es einem schlecht geht.

(zitiert nach: Irmgard Keun: Das kunstseidene Mädchen. Claassen Verlag, Düsseldorf 1979, S.87ff.)