Autor*innen-Porträts

Hans Jonas

10. Mai 1903 – 5. Februar 1993

Hans Jonas
© dpa picture-alliance

Autor und Ort

Hans Jonas wurde am 10. Oktober 1903 als Kind des Textilfabrikanten Gustav Jonas und dessen Frau Rosa, Tochter des Krefelder Oberrabbiners Jakob Horowitz, in Mönchengladbach geboren und wuchs mit seinen zwei Brüdern in der Mozartstraße 9 auf. Bereits als Jugendlicher wandte er sich – gegen den Willen des Vaters – örtlichen zionistischen Zirkeln zu. 1921 legte er am Stiftischen Humanistischen Gymnasium sein Abitur ab. Kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten verließ Jonas Deutschland. Vor seinem früheren Elternhaus befindet sich ein Stolperstein unter anderem für seine Mutter, die 1941 deportiert und 1942 in Auschwitz ermordet wurde. Seine Heimatstadt ernannte ihn 1989 zum Ehrenbürger. Seit 1997 schmückt eine Bronzesstatue den nach dem Philosophen benannten Hans-Jonas-Park in der Nähe von dessen früherer Schule.

Leben und Werk

Hans Jonas war Philosoph und wegweisender Theoretiker der internationalen Ökologiebewegung. Nach dem Abitur 1921 studierte er zunächst Philosophie bei Edmund Husserl in Freiburg, danach in Berlin zusätzlich Judaistik, ab 1923 wieder in Freiburg, um dann 1924 in Marburg bei Martin Heidegger weiter zu studieren. Während dieser Zeit schloss er lebenslange Freundschaften mit Hannah Arendt, Günter Anders und Gershom Scholem. Seine Dissertation über den Begriff der Gnosis (1930) erweiterte er zu der sehr einflussreichen Studie Gnosis und spätantiker Geist, dessen erster Teil 1934 erschien.

Kurz nach dem Beginn der nationalsozialistischen Diktatur emigrierte er über London nach Jerusalem. Als Mitglied der jüdischen Selbstverteidigung Haganah wurde er während des Zweiten Weltkriegs Soldat der Jüdischen Brigade innerhalb der britischen Armee. Nachdem seine Versuche, eine dauerhafte Anstellung an der Universität in Jerusalem zu erhalten, gescheitert waren, zog er 1949 mit seiner Frau Lore, die er 1943 geheiratet hatte, nach Kanada. 1955 wurde er Professor an der New School for Social Research in New York. Die akademische Freiheit nutzte er intensiv für philosophische Studien, die er in Seminaren und Vorträgen in Amerika und Europa vorstellte.

Sein Werk ist einerseits geprägt von den leidvollen Erfahrungen des Antisemitismus und des Holocaust – seine Mutter wurde 1943 in Auschwitz ermordet –, andererseits von der Phänomenologie und der durch die technologischen Revolutionen veränderten Conditio humana. Diese Veränderung erfordert nach Hans Jonas eine neue ethische Disposition, die die Verantwortung der Menschheit für die Welt und die Schöpfung aktiv annimmt. Zu seinen wichtigsten Werken zählen neben den beiden Teilen der bereits erwähnten Studie Gnosis und spätantiker Geist (1934 und 1954), Organismus und Freiheit (1973), Das Prinzip Verantwortung (1979) sowie Der Gottesbegriff nach Auschwitz (1987). Hans Jonas wurde für sein Werk vielfach ausgezeichnet, unter anderem 1987 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Hans Jonas starb am 5. Februar 1993 in New York.

Von Klaus Peter Hommes

Das Prinzip Verantwortung (Auszug, 1979)

Man nehme zum Beispiel, als die erste große Veränderung in dem überkommenen Bild, die kritische Verletzlichkeit der Natur durch die technische Intervention des Menschen – eine Verletzlichkeit, die nicht vermutet war, bevor sie sich in schon angerichtetem Schaden zu erkennen gab. Diese Entdeckung, deren Schock zu dem Begriff und der beginnenden Wissenschaft der Umweltforschung (Ökologie) führte, verändert die ganze Vorstellung unserer selbst als eines kausalen Faktors im weiteren System der Dinge. Sie bringt durch die Wirkungen an den Tag, daß die Natur menschlichen Handelns sich de facto geändert hat, und daß ein Gegenstand von gänzlich neuer Ordnung, nicht weniger als die gesamte Biosphäre des Planeten, dem hinzugefügt worden ist, wofür wir verantwortlich sein müssen, weil wir Macht darüber haben. Und ein Gegenstand von welch überwältigender Größe, wogegen alle früheren Gegenstände menschlichen Handelns zwerghaft erscheinen. Die Natur als menschliche Verantwortlichkeit ist sicher ein Novum, über das ethische Theorie nachsinnen muss. Welche Art von Verpflichtung ist in ihr wirksam? Ist es mehr als utilitarisches Interesse? Ist es einfach die Klugheit, die gebietet, nicht die Gans zu schlachten, die die goldenen Eier legt, oder gar den Ast abzusägen, auf dem man sitzt?

(zitiert nach: Hans Jonas: Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation. Suhrkamp, Berlin 2020.)