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Kolumne

„Well, I guess that is that.“

Illustration von Nadine Redlich
Nadine Redlich

Unser Kolumnist Denis Pfabe hat endlich den richtigen Content zum Einschlafen gefunden. Und es gibt so viel davon!

– von Denis Pfabe

Bildrechte: Nadine Redlich

Hier schreiben im Wechsel Autor:innen aus dem Rheinland über Sätze, die ihnen hängengeblieben sind. Heute: Denis Pfabe.

Vielleicht sollte ich vorwegschicken, dass ich eine Menge YouTube Videos schaue. Gerade in Zeiten, wo ich tief in der Arbeit an einem Roman stecke, ertrage ich wenig Dramaturgie in den Medien, die ich abends, nach getaner Arbeit im Manuskript, so konsumiere. Das nimmt nicht selten auch obskure Formen an: Wenn man sich den ganzen Tag mit Spannungsbögen, Figurenentwicklung und, wenn man dem ganzen Drehbuchquatsch so folgt, auch mit Heldenreisen und Character Development auseinandersetzt, dann sträubt sich abends mein Hirn vor den endlosen Kacheln auf den Startseiten der Streamingdienste, die alle irgendetwas dramaturgisch kniffliges versprechen. Selbst Dokumentationen sind mir dann zu viel. Mein Hirn will dann bloß immer weiter überprüfen, was da in den Serien oder Filmen angelegt, gezeigt oder bloß angedeutet ist. Ergo, ne ganze Menge Stress in der Birne, weil man das doch schon den ganzen Tag im Manuskript gemacht hat und jetzt auch einfach mal ein bisschen auf Durchzug stellen möchte. 

„ Die Einfahrt geschottert, die Wiese gemäht. “

Die Lösung war so simpel wie effektiv. Ich hab meine Streamingdienste gekündigt (die meiste Zeit verbrachte ich eh bloß im Doomscroll auf den Startbildschirmen, konfrontiert mit den endlosen Möglichkeiten – letztendlich war alles dann ja eh zu „anstrengend“ fürs zermürbte Schriftstellerköpfchen). Stattdessen habe ich mir einen YouTube Premium Account zugelegt. Personen, die mir nahestehen, beschimpfen mich deshalb als Boomer: Ich bezahle nun für YouTube. Aber den Content dort ohne Werbung schauen zu können, hat dann nochmal was ganz anderes freigespielt: Die stinklangweiligen und langformatigen Inhalte von Content-Creator. Da sprang der Funke ruckzuck über: Leute, die sich zwei Stunden dabei filmen, wie sie frischen Schotter auf ihrem Driveway verteilen, wie sie mit einem gigantischen Hecksleraufsatz mit ihrem Raupenbagger überwucherte Felder mähen, Männer, die in Echtzeit den Motor einer Planierraupe reparieren und dabei fast kein Wort sprechen. Das konnte ich mir stundenlang angucken – DAS war der Urlaub fürs Gehirn, den ich nach langen Schreibtischtagen im Manuskript so bitter nötig hatte. Wenig Inhalt, fast keine Dialoge und am Ende war meist irgendetwas vollbracht. Die Einfahrt geschottert, die Wiese gemäht. Nur der Moter der Planierraupe ließ sich nicht mehr starten, auch nachdem der Mann in Overalls 2:34 lang sein Bestes gegeben hatte. 

Es wurde meine Leidenschaft; stinklangweilige Videos gucken, bis ich selig eingelullt und im Kopf angenehm hohl einschlief. Meist stand der Laptop direkt neben meinem Kopfkissen. Ich kämpfte über Minuten immer wieder mit meinen zufallenden Augen, während der wortkarge Mechaniker seine ölverschmierten Hände an einem Lappen abwischte. Er drehte sich noch nicht mal zur Kamera, als er es sagte: 
„Well, I guess that is that.“ Und damit war das Schicksal der Maschine besiegelt. Ich schlief wie ein Baby. 

„ Wochenlang sah ich mir Baggerreparaturen an. “

Die Inhalte der Videos lösten einander ab wie Ebbe und Flut. Wochenlang sah ich mir Baggerreparaturen an. Das wurde abgelöst von Heavy Duty Lastkränen, die havarierte Zugmaschinen auf den Highways rund um LA retteten. Dann wieder Nächte, in denen ich zum sachten Werkzeuggeklimper eines Kfz-Mechanikers eindämmerte, der mir erklärte, wie man ein altes Schneemobil reparierte. 

Auf einem Geburtstag vor ein paar Tagen gestand mir eine Freundin, dass sie zurzeit eine ganz bestimmte Sorte von Videos im Gehirn kitzeln würde. Vielleicht sollte ergänzt werden, dass sie bereits einen sehr reizenden Damenspitz vom Champagner hatte, andernfalls hätte sie die Info vielleicht nicht geteilt. Ihr größtes guilty pleasure war das Anschauen von Clips, in denen Seife mit Glitzer drin sehr laut knackend zerbrochen wird. Man sieht bloß die Hände, die die Tiegel zerdrücken. Ihr gesamter Insta-Feed war voll von diesen knallbunten Glitter-Videos, die alle nicht länger als dreißig Sekunden waren. Das wäre mir visuell ein bisschen zu viel, sagte ich. Aber die Dramaturgie fand ich gut. Einschlafen könnte ich dazu aber wahrscheinlich nicht.  

Denis Pfabe ist Autor und lebt in Bonn. Er veröffentlichte die Romane „Der Tag endet mit dem Licht“ und „Simonelli“, im Januar 2026 erscheint „Die Möglichkeit einer Ordnung“ (Rowohlt Berlin).