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Kolumne

"Hatta bademjun nabud"

Illustration von Nadine Redlich
Nadine Redlich

Unsere Kolumnistin Maryam Aras erinnert sich an Gerichte, die ihre Tante für sie kochte.

– von Maryam Aras

Bildrechte: Nadine Redlich

Hier schreiben im Wechsel Autor:innen aus dem Rheinland über Sätze, die ihnen hängengeblieben sind. Heute: Maryam Aras.

Die Siebzigerjahre in Köln waren eine mythische Zeit für meine Tante Bita. 16 Jahre alt war sie, als sie in Tehran in den Zug stieg und mein Vater sie einige Tage und dieselbe Übernachtung bei Istanbuler Verwandten später, die auch er zehn Jahre zuvor eingelegt hatte, bei meiner älteren Tante Badri in München abholte. Mein Vater war 19 Jahre alt gewesen, als er in München aus dem Zug gestiegen war, 1964. Für ihn war München zunächst keine Zwischenstation und seine 19 Jahre von einer Härte, die nicht durch die Differenz von drei Jahren zu erklären war. Es waren die 19 Jahre eines ältesten Sohnes einer großen Familie, einer großen politischen Familie während des kolonialen Coups 1953 gegen die antikoloniale Regierung Mohammad Mossadeghs. Meine Tante Bita war das dritte Kind von vieren, die zweite Tochter und der eigensinnige Sonnenschein der Familie. Sie war fünf Jahre nach dem Achtundzwanzigsten im Monat Mordad geboren, als die monarchistische Elite Irans sich mit Hilfe der alten und neuen Herren aus dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten ihr komfortables Leben gegen die meisten Menschen ihres eigenen Landes sichern ließen und nachdem es nur billiges braunes Brot und dünne Suppen aus Knochenbrühe, Zwiebeln und ein paar Kartoffeln gegeben hatte. Auch meine Tante wuchs mit den Gesprächen über die Morde und die Verbrechen um den Achtundzwanzigsten im Monat Mordad auf, mit den Heldengeschichten ihrer aller Doktor Mossadegh, mit dem Warten ihrer Mutter auf die rar gesäten Briefe meines Vaters, nachdem er in den Zug nach Istanbul gestiegen war, elf Jahre nach dem Achtundzwanzigsten im Monat Mordad. Und sie wuchs auf mit den Kleidern, die meine Großmutter ihr und ihrer Schwester nach Burda-Schnittmustern schneiderte und über deren Stoffe, Schnitte und Knöpfe sie auch vierzig Jahre später im Kölner Süden nicht müde wurden zu sprechen. Die Spangenschuhe mit den kleinen Blockabsätzen, die mein Großvater ihr nach langem Bitten in einer der besseren Boutiquen im Zentrum ihrer Stadt gekauft hatte, blieben ein einmaliges Privileg, das niemals zuvor und niemals wieder einem der Kinder zuteil wurde.

„ Auberginen ist gut, lachte mein Onkel Bahram, nicht mal richtigen Reis gab es. “

Als meine Tante 1974 in Köln aus dem zusammengeflickten Käfer meines Vaters stieg, war Deutschland noch ein anderes Land, erklärte sie vor einigen Jahren als wir in ihrem Wohnzimmer zusammensaßen. Hatta bademjun nabud, sagte sie und lächelte ironisch, weil sie ganz genau wusste, dass ich mir ein Leben ohne ihren Schmortopf aus gebratenen Auberginen, Tomaten, sauren Trauben und zarten Lammstücken, um die zu zerteilen man nicht einmal ein Messer brauchte, nicht vorstellen konnte. Auberginen ist gut, lachte mein Onkel Bahram, nicht mal richtigen Reis gab es. Wir haben Kochbeutelreis gekauft, die Tütchen aufgeschnitten und den Reis daraus eingeweicht, gewaschen und gekocht. Mein Onkel war zehn Jahre und eine Revolution nach meiner Tante nach Köln gekommen. Ich schüttelte ungläubig den Kopf, und kicherte kurz durch die Nase, obwohl ich ihnen glaubte. Siebzigerjahre, Siebzigerjahre, meine Cousine und mein Cousin sind mit den Geschichten ihrer Mutter über das Mädchenwohnheim in Sülz, Freundinnen und Demonstrationen großgeworden, wollten sie nicht mehr hören in den späten Achtzigern in Tehran, als nichts mythisch war, außer den beschworenen Heiligen, mit denen der Emam seinen modernen Krieg rechtfertigte. Als ich sie in ihrer Stadt besuchte, fünf Jahre bevor meine Tante mit meiner Cousine zu Besuch nach Mülheim kam und blieb, weil sie ohne Kopftuch das Treppenhaus ihres Wohnhauses geputzt hatte, mochte ich noch keine Auberginen und meine Tante bereitete tagein tagaus ein extra Essen für mich aus jungem Kalbsfleisch, Champignons und verschiedenen Gemüsen zu. Nur den Reis, den sie mit einer Kruste aus dünnem Brot statt der gewohnten Kartoffelkruste meines Vaters servierte, aß ich gierig. Als sie und meine Cousine schließlich das Asylbewerberheim in Dormagen hinter sich gebracht und in eine kleine Wohnung am Marktplatz auf der Berliner Straße gezogen waren, wartete ich bei jedem Besuch sehnsüchtig auf das Abendessen. 

Maryam Aras ist Autorin, Kritikerin und Literaturwissenschaftlerin und lebt in Köln. Im März 2025 erschien ihr literarischer Essay "Dinosaurierkind" (Claassen).