In Deutschland kommen jedes Jahr mehr als zehntausend Neuerscheinungen auf den Markt. Wer kann da noch den Überblick behalten? Wir! Einmal im Monat empfehlen Literaturkenner:innen und Vielleser:innen aus unserem Netzwerk ein Buch, das sich lohnt. Warum? Das beantwortet der Fragebogen.
Im Mai liest Enno Stahl, Schriftsteller, Literaturwissenschaftler und Journalist aus Neuss,
legende von Ronald M. Schernikau.
Die Götter stino (der Kommunist Max Reimann), fifi (Ulrike Meinhoff), kafau (Therese Giehse) und tete (Klaus Mann) kommen zurück auf die Erde, genauer: die Insel (Westberlin). Die Insel liegt im Land der Zukunft (DDR) und lauter Leute wie Lydia, die Stellvertretende Kreisvorsitzende der Kommunistischen Partei, der Neffe von Ulla (Ronald M. Schernikau höchstselbst), Mariane Komenski (alias Marianne Rosenberg) und ihr Bruder Fank proben, unterstützt von den Göttern, den Aufstand gegen das kapitalistische Regime der Oberbonzen Anton Tattergreis und Janfilipp Geldsack (wer soll das wohl sein?).
Es ist eine tiefgehende Recherche über die inneren Verhältnisse unserer Gesellschaft, das Verhältnis von Kunst und Politik, die Rolle der Menschen in diesem Geflecht, getragen von der Hoffnung auf Besserung.
... "legende" ein Monolith ist, das erste Buch nach Peter Weiss' Ästhetik des Widerstands dieses Umfangs und Anspruchs. Und man kann sehr wohl fragen, ob es seitdem noch etwas Ähnliches gegeben hat. Das Ganze ist eine überschäumende Travestie, ein ironisches Varieté, in dem die Figuren wie Puppen hin und hergeschoben werden. Sprachlich sprüht es vor Witz und Esprit. Ein Bonmot jagt das andere.
„lachen ist immer die gelungene erkenntnis, dass etwas nicht stimmt. wir lachen, weil uns etwas auffällt: die wirklichkeit.”
Das Buch:
Ronald M. Schernikau: legende
Verbrecher Verlag, Berlin 2019
1300 Seiten