In Deutschland kommen jedes Jahr mehr als zehntausend Neuerscheinungen auf den Markt. Wer kann da noch den Überblick behalten? Wir! Einmal im Monat empfehlen Literaturkenner:innen und Vielleser:innen aus unserem Netzwerk ein Buch, das sich lohnt. Warum? Das beantwortet der Fragebogen.
Im April liest Jill Ringst vom Europäischen Übersetzer-Kollegium
Nordrhein-Westfalen in Straelen The Midnight Library von Matt Haig.
„The Midnight Library“ von Matt Haig ist ein philosophischer Roman über das Leben, den Tod, das Treffen von Entscheidungen und alternative Realitäten. Die Geschichte dreht sich um Nora Seed, eine Frau, deren Leben zunehmend von Belastungen und Rückschlägen geprägt ist, bis sie beschließt, ihm ein Ende zu setzen. Doch anstatt zu sterben, landet sie in einer Bibliothek – der Mitternachtsbibliothek.
Diese Bibliothek existiert zwischen Leben und Tod, und jedes darin enthaltene Buch enthält ein alternatives Leben, welches sie hätte führen können – basierend auf ihren Entscheidungen, die sie im Laufe des Lebens nicht getroffen hat.
Dieser Roman wirft große Fragen auf: Was macht ein erfülltes Leben aus? Gibt es das perfekte Leben überhaupt? Und wie viel Macht haben wir über unser eigenes Glück?
„The Midnight Library“ ist ein tiefgründiger Roman über die Suche nach Selbstwertgefühl, dem Sinn im Leben und vor allem den Umgang mit Reue.
Nora Seed glaubt, in ihrem Leben gescheitert zu sein. Sie sieht nur verpasste Chancen, falsche Entscheidungen und enttäuschte Menschen. Sie ist davon überzeugt, dass andere Wege zu einem besseren Leben geführt hätten, wenn sie nur anders gehandelt hätte.
Doch je mehr alternative Leben sie ausprobiert, desto klarer wird ihr, dass keines davon perfekt ist. Jedes bringt Höhen und Tiefen sowie Schmerz und Glück mit sich. Der entscheidende Punkt ist nicht, ob man „das richtige“ Leben lebt, sondern wie man mit dem Leben umgeht, das man hat.
Jede Entscheidung, die wir treffen, egal wie klein sie uns erscheinen mag, formt unser Leben. Und gerade deshalb denken wir zu oft an verpasste Möglichkeiten und Chancen.
Wir neigen dazu, das Leben, das wir nicht führen, zu idealisieren und dem nachzutrauern, was hätte sein können.
Doch genau dieser endlose Kreislauf der Reue lässt uns das bestehende Leben womöglich komplett verpassen.
... es universell ist. Unabhängig davon, in welcher Lebensphase sich die Leserschaft gerade befindet, lädt dieses Buch dazu ein, einen Moment innezuhalten. Es spricht gesellschaftliche Tabuthemen offen an und macht sie greifbar. Es schafft eine Möglichkeit, sich mit den Erfahrungen der Protagonistin zu identifizieren und regt zum Nachdenken und Hinterfragen an. Es ist eine ehrliche und berührende Geschichte, die die Leserschaft dazu einladen möchte, das eigene Leben mit Nachsicht und Mut zu betrachten.
Letztlich ist „The Midnight Library“ ein sehr hoffnungsvolles Buch über Depressionen, Lebensmüdigkeit, und das Wiederentdecken des Lebenswillens.
Das Buch sagt: Du bist nicht deine Fehler. Du bist nicht deine Vergangenheit. Dein Leben ist voller Möglichkeiten – solange du lebst.
„We don’t have to do everything in order to be everything, because we are already infinite.”
„You don’t have to understand life. You just have to live it.”
Das Buch:
Matt Haig: The Midnight Library
Canongate Books, Edinburgh 2020
304 Seiten