Magazin

Kolumne

"Yapp, yapp, yapping"

Illustration von Nadine Redlich
Nadine Redlich

Unsere Kolumnistin Carla Kaspari begrübelt ein neuartiges Plauderphänomen.

– von Carla Kaspari

Bildrechte: Nadine Redlich

Hier schreiben im Wechsel Autor:innen aus dem Rheinland über Sätze, die ihnen hängengeblieben sind. Heute: Carla Kaspari

Neulich stand ich an der Supermarktkasse (ich habe lange überlegt, ob ich mir wirklich die Blöße gebe und diesen Text so starte, aber dann dachte ich, warum direkt die Lüge verbreiten, das Folgende an einem anderen, weniger abgegriffenen Ort gehört zu haben, wenn ich es doch wirklich, ich schwöre, an der Supermarktkasse gehört habe, und zwar stehend). 

Ich stehe also da und vor mir zwei junge Personen. Wenn ich schätzen müsste, dann würde es sich um spätgeborene Zoomer oder frühgeborene Mitglieder der sogenannten Generation alpha gehandelt haben. Für letzteres sprach, dass neben ihnen auf dem Band zwei extrem farbenfrohe Dosen lagen. Es war schwer zu identifizieren, was der Inhalt dieser Dosen war, aber vermutlich handelte es sich um ein Merch-Getränk eines Influencers oder einer Rapperin in Form von Energydrink oder Eistee. 

„ „Jaja“ oder „Same“ “

Die beiden haben sich unterhalten, und zwar auf eine Art, die mir nicht das erste Mal aufgefallen ist: anstatt dem Gegenüber mit einer gewissen Aufmerksamkeit zuzuhören und dann auf das Gesagte einzugehen, machte diese Konversation einen gehetzten und gleichzeitig gelangweilten Eindruck, eine Art atemloses Aneinander-Vorbeireden. Die Themen waren extrem belanglos, es ging vor allem um Social-Media-Persönlichkeiten, die mir leider gar nichts gesagt haben, der Punkt des Vorredners wurde allenfalls mit einem „Jaja“ oder „Same“ quittiert, teilweise wurde einfach nur ein zustimmendes Geräusch gemacht. Das Gespräch erinnerte mich formal stark an TikTok.

Und nein, keine Angst, das hier soll kein Generationen-Bashing sein, das wäre 1. mindestens so abgegriffen wie einen Text an einem Ort wie der Supermarktkasse zu beginnen und 2. bin ich für Generationen-Bashing doch noch nicht frustriert genug. Diese als Monologe getarnten Dialoge wie jener an der Kasse sind mir schon bei Personen unterschiedlichster Altersgruppen, Bildungsgrade oder Geschlechter aufgefallen, auch wenn ich zugeben muss, dass keine dieser Personen älter als 40 war. Es ist also sicher kein Symptom einer irgendwie gearteten Jugend, vielleicht aber eins des digitalisierten Teils der Gesellschaft. 

„ Hauptsache Content. “

Als ich dann nachhause ging, überlegte ich, wie man diese Gesprächsart denn nennen könnte. Früher hätte man sie vielleicht mit „schnattern“ umschrieben oder „plappern“ oder „labern“, aber das trifft es alles nicht, klingt zu verstaubt, zu sehr nach Café Extrablatt in einer Fußgängerzone während der frühen 00er Jahre. Und dann, wie das manchmal so ist, selektive Wahrnehmung und so weiter, kam mir innerhalb weniger Stunden mehrere Male der wunderbare, anglizistische Begriff unter, der dieses Phänomen auf so leichte, zeitgemäße und noch dazu lautmalerische Art auf den Punkt bringt: yapping. 

yapping heißt ursprünglich so viel wie high pitched barking, also kläffen und seit neuestem steht es auch für so etwas wie plaudern oder quatschen, wobei die Übersetzung wieder zu nah an Café Extrablatt kommt. Bei yapping, lernte ich dann, handelt es sich sogar um einen TikTok-Begriff, also ein Wort, das auf dieser Plattform groß geworden ist. Und da schließt sich der Kreis. 

yapping ist nämlich nicht nur Beschreibung sondern auch Symptom, man könnte fast sagen: ein Phänomen. Es ist die Kakophonie von Podcasts, Instagram-Reels, TikToks und sämtlichen Kommentarspalten, die sich in den realen, zwischenmenschlichen Dialog eingeschrieben hat. Alle geben etwas von sich, niemand hört richtig zu. Die Aneinanderreihung von Talking Points, das rhetorische Äquivalent zum Scrollen am Handy. Hauptsache Content. yapping ist die Angst vor der Pause. Vor der Stille. Vor dem Moment, in dem niemand mehr etwas sagt und man merkt: jetzt bin ich mit mir selbst allein.

Carla Kaspari ist Schriftstellerin und lebt in Köln. Gerade erschien ihr zweiter Roman "Das Ende ist beruhigend" (Kiepenheuer & Witsch)