Magazin

Kolumne

„Sternberg came over the other night“

Illustration von Nadine Redlich
Nadine Redlich

Unser Kolumnist Bastian Schneider folgt versonnen den Schwaden eines poetischen Zigarillos.

– von Bastian Schneider

Bildrechte: Nadine Redlich

Hier schreiben im Wechsel Autor:innen aus dem Rheinland über Sätze, die ihnen hängengeblieben sind. Heute: Bastian Schneider

Sternberg came over the other night. So könnte doch ein Roman von Paul Auster anfangen. Aber ich bin nicht Paul Auster, noch nicht. Paul Auster ist tot. Ich mag seine Romane. Ich wäre gerne so talentiert und erfolgreich wie er. Dann würde ich einen großartigen und vor allem erfolgreichen Roman schreiben. Über Sternberg. Ich kenne Sternberg nicht, noch nicht. Aber das ändert sich gerade vielleicht. In meinen Büchern gehe ich meistens irgendwelchen Namen, Wörtern, Wortkombinationen oder sogar regelrechten Sätzen auf den Grund, die mir so einfallen. Zuletzt Kafkas Lippenstift, von dem niemand, nicht einmal der ausgebuffteste Kafkakenner etwas wusste, bis ich es herausgefunden und aufgeschrieben hatte. Hievon nachher mehr, wie es in Robert Walsers Räuber-Roman heißt. Aber ich bin auch nicht Robert Walser, obwohl ich seine Bücher noch mehr mag als die von Paul Auster, doch das habe ich weder Robert noch Paul jemals erzählt. Und jetzt ist es zu spät, weil beide tot sind. Aber das nur am Rande.

„ Ich schreibe das, ohne rot zu werden “

Wenn ich sage, dass ich Wörtern und Sätzen auf den Grund gehe, dann meine ich das nicht nur etymologisch. In erster Linie geht es mir um die Bedeutung im Sinne der Geschichte, die sich hinter den Namen, Wörtern und Sätzen verbirgt. Ja, Bedeutung. Ich schreibe das, ohne rot zu werden. Angeblich leben wir in einem Post-Bedeutung-Zeitalter. Ich glaube nicht daran. Ich glaube an Bedeutung beziehungsweise daran, dass Wörter und Sätze etwas bedeuten. Und was sie bedeuten, möchte ich herausfinden oder wahlweise auch erfinden. So auch im aktuellen Fall: Sternberg came over the other night. Wie gesagt, ein typischer Paul-Auster-Satz, wenn Paul Auster versuchen würde, einen Text im Stil von Franz Kafka zu schreiben. Ich mag Franzens Texte und Franz mochte Roberts Texte, und wenn jetzt Robert meine Texte mögen würde, dann wäre das zwar sehr unwahrscheinlich, aber nicht vollkommen unmöglich, wenigstens nicht hier und nicht jetzt. Denn ich glaube nicht nur an die Bedeutung, sondern ebenso sehr an die Behauptung, vor allem an meine eigene. Aber auch an die von Robert und Franz und Paul. Und darin liegt wohl gleichsam die walserisch-kafkaeske Austerität des Satzes, mit der er die Leser sofort in die Geschichte hineinzieht, direkt und unmittelbar, beiläufig und wie selbstverständlich. Als würden wir alle Sternberg schon kennen. Dabei kenne ich ihn immer noch nicht. Vielleicht erkenne ich ihn auch nicht.

„ Das kurze Schweigen von Paris “

Paul hat mich einmal nicht erkannt. Oder ich habe ihn nicht erkannt. Oder beides. Oder wir beide haben nur so getan, als ob wir uns nicht erkennen würden und haben uns dafür umso mehr erkannt. Das war in Paris, Paris allein ist real. Und natürlich war es bei Shakespeare & Company. Es drängten sich viele Menschen vor der berühmten Buchhandlung, aber nicht wegen mir, auch nicht wegen Paul, sondern wegen seiner Frau. Siri Hustvedt hatte gerade ihren neuen Roman vorgestellt und war dabei, Bücher zu signieren. Paul und ich saßen auf einer Bank unter einem Baum in der Sonne. Es wird Frühling gewesen sein und der süße Duft seines Zigarillos zog in meine Richtung, also in Richtung Seine und Notre-Dame. Ich sog den Qualm möglichst unauffällig ein, also rauchten wir sozusagen zusammen, während wir in der Sonne saßen und schwiegen. Das war unsere Art, ein Gespräch zu führen, ohne Worte und nur für Augenblicke. Es war das letzte Mal, dass wir uns sahen, auch das erste Mal, kurz: Es war das einzige Mal, dass wir uns gesehen haben. Aber was lag nicht alles in diesem kurzen Schweigen von Paris? Ich denke, wir beide zehrten den Rest unseres Lebens davon. Andernfalls hätten wir uns wohl wiedergesehen, nicht wahr? Statt dessen habe ich Sternberg gesehen, als er neulich Abend vorbeikam. Aber weil diese Kolumne höchstens 4.000 Zeichen haben darf, muss ich Sternberg vorerst vor der Tür stehen lassen, um irgendwie aus diesem Text noch herauszukommen. Am besten durchs Fenster, das stand die ganze Zeit offen und wird weiter nichts dagegen haben. 

Bastian Schneider ist Schriftsteller und lebt in Köln. Er erhielt u.a. den Förderpreis des Landes NRW sowie das Dieter-Wellershoff-Stipendium. Zuletzt erschien „Die Liebe der Korallen“ (mit Petra Piuk, Sonderzahl Verlag).