Magazin

Kolumne

“madwoman in the attic“

Illustration von Nadine Redlich
Nadine Redlich

Unsere Kolumnistin Thea Mantwill weiß, es gibt keine verlässliche Architektur, nicht einmal eine vernünftige Wand.

– von Thea Mantwill

Bildrechte: Nadine Redlich

Hier schreiben im Wechsel Autor:innen aus dem Rheinland über Sätze, die ihnen hängengeblieben sind. Heute: Thea Mantwill

Vor einigen Jahren war ich in einem Haus, das Gemäuer genannt werden kann. Die Natur war dabei, es sich zurückzuholen, tat aber so, als wäre nichts weiter im Gange. Quasi pfeifend schlich sie sich an den Ecken und Enden, die man in all dem Trubel der Gemäuerigkeit übersehen haben könnte, wieder hinein: Hier holte sich eine Pflanze das Haus durch ein Rohr, ein zerbrochenes Fenster, eine Lücke in der Geometrie zurück, dort wucherte schüchtern lächelnd Moos, es wehte ein Wind. Ich fand einen Architekturplan auf dem Boden, der so tat, als sei irgendetwas auf dieser Welt berechenbar und gerade, hier nun eben dieses leicht wahnsinnig gewordene Haus. In schwarzen Linien auf beruhigend grauem Grund behauptet: eine einschätzbare Welt.

Damals las ich ein Buch über D.H. Lawrence, in dem er sich über eine Frau, die als verrückt geworden galt, folgendermaßen äußerte: Es sei ihm ein Rätsel, wie eine Frau (!) derart das Gleichgewicht verlieren könne. — Also ich habe neulich das Gleichgewicht verloren und kann sagen, es ist überhaupt kein Rätsel. Schon gar nicht für eine sogenannte Frau. Es ist eher, als hätte man alle Fußwege mit einer Neigung von 30 % gebaut und beschwerte sich nun darüber, dass alle darauf schief liefen.

„ Begriffe sind wichtig, vor allem, wenn’s wackelt. “

Und es begann wie immer in den Häusern, genau genommen in dem, in dem ich wohne. Ich sah, als die Wohnung unter uns renoviert wurde, im Vorbeigehen, wie die Männer, die so laut waren, als stünden sie in meinem Schlafzimmer, was mir vor allem morgens ein papiernes und ausgeliefertes Gefühl gab, den Boden aufgerissen hatten und im Kreis darum standen, sich zu beraten. Der Boden war so dünn, dass ich mich wunderte, wie lang er mich und meine Bücher („eine saure Gurke in ihrem Essig“ laut Julian Barnes) schon ausgehalten hatte, denn das ergibt, genauso wie die Wunderlichkeit, dass Balkone nicht einfach herunterfallen, sobald ein Exemplar unserer unangenehmen Spezies sie betritt, überhaupt keinen Sinn. — Dabei kann ich das Loch im Boden gar nicht gesehen haben, weil es keines gab. Das weiß ich, und daneben steht in meinem Kopf völlig ungerührt diese Scheinerinnerung und die Gewissheit, dass der Grund mich nicht tragen kann, dass es keine Stabilität und keine Sicherheit für mich gibt. Woher da Gleichgewicht nehmen?

Seitdem spüre ich, wie das Haus sich verschiebt, Boden und Wände sich wie tektonische Platten bewegen und versuchen, sich mir zu entziehen, ich spüre jedes Beben, jede geöffnete Tür, jedes geschlossene Fenster unter mir und warte auf den finalen Lufthauch, der alles zum Zusammenbruch führt. Vor allem abends, wenn ich im Bett (also auf der Matratze, ich sollte nicht mit schwerem Mobiliar provozieren) liege, ist da dieser Schwindel. Ich spüre, wie der Boden kippt, die Wände nachgeben, die Welt sich aus den Angeln entlässt und mit mir herunterstürzt. Sie bricht ganz leise und unaufgeregt zusammen, und zwar ausschließlich und mit Vorsatz unter mir. So, als beträfe ihre Schiefheit und Instabilität nur mich. Dabei möchte ich höflichst darauf hinweisen, dass auch ihr wackelt, dass der Boden unter euch bebt, wenn eine Straßenbahn, ein Zug, eine Kolonne Autos unter uns hindurch rast, manchmal spürt man das. Die Stadt ist untertunnelt, umgegraben, besteht aus Schichten, Versatzstücken und Bruchteilen, ein Frankenstein all der Städte, die sie einmal war. Wie all unsere Häuser, unser Inneres.

Der Therapeut und ich suchen nach einem Begriff, denn Begriffe sind wichtig, vor allem, wenn’s wackelt. Sozusagen eine Überschrift für mein Problem. Zaghaft präsentiere ich ihm: Die Sache mit dem Boden.

— Davon habe ich noch nie gehört, sagt der Therapeut.

— Jetzt schon, sage ich. Dieses Nie ist hier vorbei.

It’s me, hi - madwoman in the attic.

Da ich Künstlerin bin und regelmäßig Dinge, um deren Existenz in der Welt wirklich niemand gebeten hat, an störrischen Wänden, Decken oder Böden zu befestigen suche, weiß ich eigentlich, dass es keine einzige gerade oder ausschließliche Sache, keine verlässliche Architektur, nicht einmal eine vernünftige Wand gibt, und dass die einzige sinnvolle Suche die nach dem Punkt ist, an dem die Schiefheit aller Komponenten so zusammenläuft, dass es gerade aussieht. Eigentlich weiß ich, dass die Suche nach Richtlinien, Regeln, Rechtfertigung — geraden Linien — ihren Sinn verliert im Kaleidoskop der Realität, die mit jeder noch so kleinen Handbewegung, jeder leichten Verschiebung eine neue Sichtweise, ein noch unbekanntes Muster zeigt, das genauso richtig ist wie das vorherige. Und dass in dieser Absolutheit, in eben dieser Unbeständigkeit Verlass ist, die große Sicherheit, nach der ich suche — oder zumindest die einzige, die ich haben kann.

Thea Mantwill ist Autorin und Künstlerin und lebt in Düsseldorf. Sie erhielt das Rolf-Dieter-Brinkmann-Stipendium 2023. Im Februar 2025 erscheint ihr Romandebüt „Glühfarbe“ (März Verlag).