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Kolumne

„Das kann ich auch“

Illustration von Nadine Redlich
Nadine Redlich

Unsere Kolumnistin Mirjam Kay Mashkour findet, Neid ist ein sinnvolles Gefühl mit einem schlechten Ruf.

– von Mirjam Kay Mashkour

Bildrechte: Nadine Redlich

Hier schreiben im Wechsel Autor:innen aus dem Rheinland über Sätze, die ihnen hängengeblieben sind. Heute: Mirjam Kay Mashkour

„Das kann ich auch“ – diesen Satz haben viele von uns schon gehört oder selbst ausgesprochen. Wahrscheinlich in einer Kunstausstellung. Weil schon wieder irgendein zugekokster Berufserbe ein paar Eimer Farbe umgekippt, sich über die Leinwand gerollt und den Quatsch dann für einen irrwitzigen Preis an einen anderen zugekoksten Berufserben verkauft hat. Zu wissen, dass man nicht talentiert sein muss, um Kunst zu schaffen, ist frustrierend, aber kann zugleich ein Befreiungsschlag sein.

Vor ein paar Jahren habe ich die Ausstellung „David Bowie is“ besucht. Dort waren vor allem seine Kostüme als androgynes Rockstar-Alien ausgestellt. Doch es war ein kleiner Zeitungsauschnitt, der mich besonders faszinierte: Bowie erzählte in einem Interview, er sei als Teenager zur Show eines Mitschülers eingeladen, nun ja, eher zum Erscheinen genötigt worden. Als er diesen Typen auf der Bühne herumzappeln sah, dachte er sich: „Das kann ich auch.“ 

„ Voltaire hat den Spruch über Perfektion auch nur geklaut. “

Eine Freundin von mir, die Gitarre spielt, traute sich nicht, mir ihre Aufnahmen zu schicken, bis ich ihr vorschlug, sie könne einen ersten rohen Entwurf senden, der nicht gut sein muss. Voltaire schrieb einmal: „Das Beste ist der Feind des Guten.“ Eine andere Freundin hat das Schreiben als Hobby aufgegeben, weil ihre Ansprüche an sich selbst so hoch sind, dass sie dadurch die Freude an ihrem Hobby verliert. Sie sagt, sie sei nicht kreativ und könnte nur gut nachahmen. Na und? Voltaire hat den Spruch über Perfektion auch nur geklaut. 

Ich habe so viele Jahre damit verbracht, zu rennen, bevor ich gehen konnte. Als Schülerin schon ein paar Zähne an meinen Romanprojekten ausgebissen, obwohl es eine gute Zeit für Kurzgeschichten gewesen wäre. Diese Dringlichkeit, vor Ende der Pubertät sein Magnum Opus fertigstellen zu wollen, ist eher geeignet für viktorianische Autoren mit Lungenentzündung … und Impfgegner. 

Jetzt möchte ich erst einmal nur Schriftstellerin sein, das ist schwer genug. Eine sehr gute Schriftstellerin? Darum kümmere ich mich im Anschluss. Für den ersten Entwurf meines aktuellen Romans habe ich mir vorgenommen, mich nicht lange daran aufzuhalten, die perfekte Formulierung zu finden, sondern zunächst nur die Geschichte aufzuschreiben. Wer im (stipendien-finanzierten) Glashaus sitzt, sollte ruhig die Kiesel meißeln. Mit Hartnäckigkeit und etwas freigekaufter Zeit wird später noch ein Edelstein daraus. 

„ Nach der Deadline bin ich gestorben. “

Konstruktive Kritik kommt von denen, die das Potenzial unserer Arbeit erkennen und uns wachsen sehen wollen. Spott kommt zumeist von jenen, die unsere Arbeit und die damit verbundenen Prozesse nicht kennen. Was habe ich mich über die erste Anthologie aufgeregt, die meine Kommiliton:innen am Literaturinstitut verzapft haben. Miserabel lektoriert, unterirdisch kuratiert, nichts hat mir daran gefallen. War ich Teil der Redaktion? Natürlich nicht. Doch es stellt sich heraus, dass man durch die eigene Beteiligung ein bisschen mehr erreicht, als durch reines Rumheulen. Wenn ich Pressetexte für die linke Szene schreibe, hat nie irgendjemand Input, bis der Text fertig und die Deadline erreicht ist. Eigentlich müsste ich nur noch auf „absenden“ klicken. Dann – und nur dann – trudeln die Beschwerden ein. Mittlerweile habe ich dafür ein Verfahren entwickelt und es geht so: Nach der Deadline bin ich gestorben. Wer mich im Jenseits erreichen will, muss dreimal meinen Namen in einen Spiegel sagen und mir Lohn für den Text paypalen. Aber Aktivismus ist nun einmal Ehrenamt und so bleibt es zumeist bei den Beschwerden der Passiven, ins Spiegelbild hineingesprochen.

„Das kann ich auch“ ist manchmal ein Ausdruck von Neid. Man könnte, wenn man wollte. Sogar besser als die anderen. Neid ist ein sinnvolles Gefühl mit einem schlechten Ruf. Neid zeigt uns, was fehlt und auf welche Bereiche man sich vielleicht mehr konzentrieren sollte. Ich war neidisch auf veröffentlichte Autorinnen, bis ich einen Verlag fand. Dann war ich neidisch auf Stipendiat:innen, bis ich ein Stipendium erhielt. Aktuell bin ich neidisch auf Autor:innen, die vom Schreiben leben können und die jemanden haben, der für sie den Haushalt schmeißt. Wobei sich zumindest Letzteres bald erledigt haben sollte.

Der Hausmann und ich stehen vor einer Skulptur. Sie ist nicht schön im klassischen Sinne, sondern eher außerirdisch schön und ein bisschen verstörend für das untrainierte Auge, so wie der Hausmann selbst. 

Er sagt: „Das kann ich auch.“

Ich antworte: „Mach doch.“

Er sagt: „Ich warne dich, die musst du dann behalten.“

Mirjam Kay Mashkour ist Autorin und Aktivistin aus Aachen. Für ihren Debütroman Star Girl Space Boy und die Arbeit an ihrem zweiten Roman erhielt sie das Rolf-Dieter-Brinkmann-Stipendium der Stadt Köln.