"Von der Bankerin in Zürich zur weltweit operierenden Buchhalterin der kalabrischen Mafia" erzählt Isabelle Lehn ihre Protagonistin. Wobei ihr neuer Roman Die Spielerin keine simple Nacherzählung einer wahren Begebenheit ist. Die gebürtige Bonnerin initiiert in ihrem Buch ein vielschichtiges Spiel aus Perspektiven und verknüpft einen brisanten Stoff mit brillanter Erzählweise. Wir haben ihr fünf(-einhalb) Fragen dazu gestellt.
Vielen Dank! Ich habe im Januar 2021 mit der Recherche und kurz darauf mit dem Schreiben der ersten Kapitel begonnen. Recherche und Schreibprozess waren bei diesem Buch immer eng verzahnt, was mir geholfen hat, mit der großen Stoffmenge umzugehen. Insgesamt habe ich rund drei Jahre an »Die Spielerin« gearbeitet und war am Ende ziemlich erleichtert, dass die einzelnen Handlungsstränge sich tatsächlich so zusammengefügt haben, wie ich es mir vorgestellt hatte.
Am Anfang stand ein eher allgemeines Interesse an Machtstrukuren in großen Unternehmen. Bei der Recherche dazu bin ich eher durch Zufall auf einen Artikel des Investigativjournalisten Sandro Mattioli aus dem Jahr 2018 gestoßen: »Wollte die Mafia ddp kaufen?« Mattioli berichtet darin über den Versuch der Kalabrischen Mafia, mehrere Millionen Euro in eine deutsche Nachrichtenagentur zu investieren, wobei eine Kundenbetreuerin der ddp offenbar eine Schlüsselrolle gespielt hat. Diese Geschichte hat mich sofort interessiert: Wie ist es dieser Frau gelungen, über Jahre hinweg ein doppeltes Spiel zu spielen? Von welchen gesellschaftlichen Vorurteilen hat sie profitiert, um unentdeckt zu bleiben? Und was hat dazu veranlasst, mit der Mafia zusammenzuarbeiten und das für eine Verbesserung ihrer Situation und ihrer Karrierechancen zu halten? Mit diesen Fragen im Kopf habe ich begonnen, mir A.s Geschichte auszumalen, wie sie sich abgespielt haben könnte.
Es sind die frühen 90er Jahre, als meine Protagonistin, die im Roman bloß A. heißt, ins Bankenwesen nach Zürich geht. Das ist die Zeit, als eine junge Ministerin wie Angela Merkel als »Kohls Mädchen« bezeichnet wurde, da sie niemand als gleichrangig im Kampf um Machtpositionen wahrnehmen wollte. A. macht ganz ähnliche Erfahrungen mit Kollegen und Kunden. Doch sie lernt bald, es für ihre Zwecke zu nutzen, dass man sie leicht unterschätzt. Das macht eine Figur wie sie auch für die Mafia interessant: Frauen nimmt man nicht als kriminelle Player wahr, sondern eher als Spielfigur in den Machtkämpfen anderer, während die Mafia als reiner Männerbund gilt. Hier wirkt also ein doppeltes Geschlechterklischee, von dem A. für ihre Schattenarbeit profitiert.
Mir war sofort klar, dass ich den Roman mit dem Bild ihrer Scheinexistenz, mit der trügerischen Wirklichkeit beginnen wollte, die A. für ihr Umfeld inszeniert. Ich wollte wie A. mit den Erwartungen des Publikums spielen, indem man sie zunächst durch den Filter verschiedener männlichen Perspektiven kennenlernt und somit ebenfalls ihrer Täuschung aufsitzt. Auf diese Weise sollte auch beim Lesen erfahrbar werden, wie A. die Eitelkeiten ihres Umfelds bedient und mit Stereotypen spielt, die in in uns allen tief verankert sind. Das wird spätestens im dritten Teil des Romans deutlich, wenn der Blick hinter A.s Fassade eröffnet wird und die vermeintlichen Wahrheiten des ersten Teils in Frage gestellt werden müssen.
Ja, unbedingt. Diese Gier, die Sucht nach dem großen Geld trifft die Stimmung auf den entgrenzten, neoliberalen Finanzmärkten der neunziger und frühen Nullerjahre ziemlich gut. Zumal das Rauschhafte der Geschäfte, die keiner Risikokalkulation mehr standhielten, durch Bonuszahlungen bewusst gefördert wurde. Indem nur noch Rendite zählte, entstand ein System, das Zocker belohnte und Schäden an der Gesellschaft in Kauf nahm. Hier liegt jedoch der Unterschied zu Dostojewskis Spieler: In den Investmentabteilungen großer Banken zockte niemand auf eigenes Risiko. Gewinne wurden privatisiert, Verluste aber blieben beim Kunden – oder bei der Gemeinschaft der Steuerzahler, die für die Schäden der Finanzkrise von 2007/2008 aufkam. Diese Erfahrung wirkt bis heute nach, in Form von Ohnmachtsgefühlen, Verschwörungserzählungen und einem tiefgreifenden Vertrauensverlust in die Handlungsfähigkeit der Demokratie, der es damals nicht gelang, die Verantwortlichen haftbar zu machen.
Ja, das stimmt vermutlich. Wobei ich den Austausch über Geld unter Schriftsteller:innen zwar für lästig, aber notwendig halte. Es stärkt die eigene Position, sich über Honorare, Vorschüsse und Preisgelder auszutauschen. Denn bei aller Liebe zur Kunst, der wir unsere Lebenszeit widmen, sind auch Kulturschaffende vom Geld abhängig, um diese Zeit zu finanzieren. Solidarität und Transparenz helfen dabei oft mehr als Konkurrenz und Wettbewerbsstreben. Man kann z. B. verabreden, Preisgelder von Literaturwettbewerben unter den Finalist:innen aufzuteilen, sich gegenseitig Aufträge vermitteln oder sich auf Mindesthonorare einigen, die man nicht unterbieten sollte. Kunst muss man sich leisten können. Das gilt insbesondere für diejenigen, die an ihrem Schöpfungsprozess beteiligt sind.
Isabelle Lehn, geboren 1979 in Bonn, lebt heute in Leipzig und schreibt erzählende und essayistische Prosa. Sie ist promovierte Rhetorikerin, Autorin des mehrfach ausgezeichneten Debütromans Binde zwei Vögel zusammen und zuletzt des Romans Frühlingserwachen. Zuletzt erhielt sie den Dietrich-Oppenberg-Medienpreis für ihren Aufsatz »Weibliches Schreiben«, der sich mit der geschlechtsspezifischen Rolle von Autor:innen im Literaturbetrieb auseinandersetzt.