In Deutschland kommen jedes Jahr mehr als zehntausend Neuerscheinungen auf den Markt. Wer kann da noch den Überblick behalten? Wir! Einmal im Monat schicken wir Literaturkenner*innen und Vielleser*innen aus unserem Netzwerk ein Überraschungsbuch zu, das sie noch nicht kennen – aber unbedingt kennen sollten. Ihre Leseeindrücke verarbeiten sie anhand des folgenden Fragebogens.
Im August liest Ellen Mülders, Programmleiterin Wort & Bühne im zakk in Düsseldorf, wir sind pioniere von Kaleb Erdmann.
Nice, das wollt ich eh lesen!
Ein Paar, das seit Kurzem weiß, dass es ein Kind erwartet und um den Umgang mit seiner bislang unkonventionellen, offenen Beziehung ringt.
Kommt wahrscheinlich auf den/die Leser:in an, ich würde sagen: Um die Neuverhandlung der Frage, wie wir unsere Beziehungen führen wollen, aber auch der Frage, wie wir arbeiten, wohnen, leben möchten. Das klingt jetzt allerdings wesentlich hochtrabender, als sich der Roman liest. Außerdem geht es um Zugfahren. Für mich ging es auch ein wenig darum, wie ernst man sich selbst in all diesen Fragen nimmt und wie doll es eigentlich nur um das eigene Ich gehen kann, radikale Individualisierung. In welchem gesellschaftlichen und politischen Kontext stehen Beziehungen? Und was sagt das vermeintliche Ausblenden dieses Kontexts und der ebenfalls vermeintliche Blick ausschließlich auf das eigene Wohlbefinden?
wir sind pioniere kommt ohne Großbuchstaben und Satzzeichen aus. Was mich überrascht hat, ist, dass sich trotzdem oder grade deswegen ein hohes Tempo und ein Rhythmus im Text entwickeln. Beides passt total gut zu meiner eigenen Gedankenstruktur, ich bin sofort „drin“ gewesen und mein TikTok-geschädigtes Hirn fand die Geschwindigkeit und die Gedankenströme der Protagonist:innen super.
Ich glaube, das ist der inoffizielle Untertitel, aber ich bin mir nicht mehr sicher, weil ich den Buchumschlag verloren hab; „Liebe im Zeitalter absoluter Selbstverantwortlichkeit“. Denn auch darum geht es eben …
Puh, will ich mir nicht anmaßen, eine Umbenennung. Find ich schon gut so.
Tauben im Gras? Nee, Scherz, wahrscheinlich nicht. Wobei, vielleicht wirklich? Aber bestimmt: Jean-Philippe Kindlers Scheiß auf Selflove, gib mir Klassenkampf!
… es entweder einen Einblick gibt, wie eine bestimmte Gruppe über sich und ihre Beziehungen denkt, oder es dazu animiert, ein bisschen Selbstreflektion zu üben, wenn man zu ebendieser Gruppe gehört. Alle sollten es vielleicht trotzdem nicht lesen. Bei Kindern wär ich vorsichtig.
Das Buch:
Kaleb Erdmann – wir sind pioniere
park x ullstein
Berlin 2024
176 Seiten