Hier schreiben im Wechsel Autor:innen aus dem Rheinland über Sätze, die ihnen hängengeblieben sind. Heute: Yannic Han Biao Federer.
I’m sorry, I’m sorry, schreit er, I’m not used to this, er ist aufgebracht, entrüstet gar, über sich, über die Situation, I’m not used to this, I’m not used to this, und ich frage mich, was er meint, den Rechtsverkehr oder Radwege oder Fahrräder allgemein oder die Hitze oder das Trikot, das er trägt, vielleicht juckt es, lenkt ihn ab, aber das glaube ich nicht, ich sage jedenfalls, I’m sorry, too, obwohl das gelogen ist oder jedenfalls sehr höflich, weil ich habe ja geklingelt, habe geklingelt und gewarnt, dass ich komme, dass ich hier fahre, dass er mir bitte nicht vor –, aber er war zu begeistert, einfach zu begeistert, hat enthusiastisch gewunken, irgendwem gegenüber, ist auf die Fahrbahn gestürmt, dass ich gerade noch so bremsen konnte, es war knapp, für ihn, für mich, jetzt krallt er sich an meinen Lenker, erschrocken, geschockt, bald auch beschämt, I’m not used to this, I’m sorry, er sortiert mir die Bremskabel, fasst mich am Arm, I’m so sorry, und ließe ich mir freien Lauf, ich würde auf meine Augen zeigen und sagen, those are for looking, you know, was absurd wäre, weil ich damit ja eigentlich gar nicht meine Augen meinen würde, sondern seine, und weil er sie ja auch zum Gucken benutzt hat, sich der Funktionsweise seiner Augen also durchaus bewusst ist, nur eben nicht nach links und rechts, und weil es dämlich und kleinlich wäre, und weil sie in den Nachrichten gesagt haben, dass die Fans gesagt haben, dass die Deutschen ja gar nicht so unfreundlich seien, wie es überall heiße, alles zwar kaputt und verspätet, und Gelsenkirchen ein shithole, aber die Deutschen seien ja doch ganz nett, ab und zu, und ich fühle mich also verpflichtet, dieser PR-Maßnahme oder Selbstsuggestion, ich weiß nicht, und sage jedenfalls, I’m sorry, too, have a nice day, und will schon weiter, als ein anderer seinen Arm um mich legt, mich quasi beiseite nimmt, sein Bier schwappt im Becher, als er auf mein Rad deutet, it’s the Euros, mate, good luck with that, und er tätschelt mir die Schulter, mitleidig fast, lässt mich stehen, gegenüber umarmen sie sich, rufen was, lachen, ich steige auf, trete in die Pedale, und wie ich später das Gliederschloss um Rahmen und Laterne schließe, den Straßenbahnen nachsehe, schaukelnde Wagen voller ekstatischer Männer in identischen Hemden, singend und grölend und springend, ihre Münder und Stimmlippen und Lungen verschmolzen zu einem einzigen Artikulationsapparat, ohrenbetäubend, aber undeutlich, verwaschen, schleppend, später denke ich also, ja, vermutlich hat er recht, vermutlich ist es tatsächlich mein Fehler, mich verhalten zu wollen, als könnte ich noch mit dem Fahrrad die Stadt durchqueren oder öffentliche Verkehrsmittel nutzen oder mich sonstwie irgendwohin bewegen, Termine wahrnehmen, einkaufen, Radio hören, als müsste ich nicht akzeptieren, dass alles Kulisse geworden ist für diesen kollektiven Taumel, ich auch, I’m sorry, I’m sorry, I’m not used to this, denke ich, setze mich zu Hause vor den Livestream, will dazu gehören, will endlich dazugehören, weil alle dazugehören gerade, irgendwie, zu irgendwas, irgendwem, aber mir werden die Augen schwer, so schwer, schlafe ein irgendwann, wache auf, die Trikotfarben haben sich verändert und der Sonnenstand, es steht irgendwas zu irgendwas, große Aufregung, gelbe Karte, rote Karte, ich denke an Maybrit Illner, keine Ahnung warum, und dämmere wieder weg, nachts weckt mich Jens Riewa, Ruinen irgendwo, jemand kniet im Staub, eine Rauchsäule steigt auf, dann schon wieder Sportteil, das Tor des Tages.
Yannic Han Biao Federer lebt als freier Autor in Köln. Er veröffentlichte u.a. die Romane „Und alles wie aus Pappmaché“ und „Tao“ im Suhrkamp Verlag.