Magazin

Kolumne

Entfremdete Tage

Illustration eines schimpfenden Türknaufs.
© Nadine Redlich für Literatur Rheinland

Unsere Kolumnistin Juliana Kálnay erlebt einen verhängnisvollen Schlüsselmoment.

– von Juliana Kálnay

Bildrechte: © Nadine Redlich für Literatur Rheinland

Hier schreiben im Wechsel Christian Bartel, Juliana Kálnay und Melanie Raabe über Sätze, die ihnen hängengeblieben sind.

Es gibt Tage, an denen will einfach nichts gelingen. Wir sagen dann so etwas wie: „Heute ist nicht mein Tag“, als würden manche Tage mehr zu unserem Leben gehören als andere. Überhaupt neigen wir dazu, etwas, das Fehler macht oder nicht so funktioniert, wie wir es uns wünschen, sprachlich von uns zu weisen und uns stattdessen mit jenem zu identifizieren, das gut läuft. Der gemeinsame Hund wird zu „deinem Hund“, wenn er gerade auf den Teppich gemacht hat, und „Das ist unser Team!“ heißt es meist vor allem dann, wenn die Mitglieder Erfolge feiern.

„Heute ist nicht mein Tag.“ Seit einiger Zeit muss ich jedes Mal, wenn ich diesen Satz höre, an den Mann vom Schlüsseldienst denken. Er hatte keinen guten Tag, als wir aufeinandertrafen. Der Tag, an dem ich den Mann vom Schlüsseldienst traf, war für mich eigentlich ganz ok gewesen, bis ich mich aus meiner Wohnung ausschloss, was ihn schlagartig in einen nicht so guten Tag verwandelte. Ich hatte noch schnell den Müll rausbringen wollen und die Wohnungstür hinter mir zugezogen – nur um dann festzustellen, dass der Schlüssel noch auf dem Küchentisch lag. Ebenfalls in der Wohnung und damit unerreichbar waren meine Geldbörse mit darin befindlichem ÖPNV-Ticket und mein Handy. Mir blieb also nichts anderes übrig, als bei den Nachbarn zu klingeln und zu fragen, ob ich mal telefonieren und den Schlüsseldienst anrufen könnte.

„ Und dann hörte ich zum ersten Mal aus seinem Mund den Satz: ‚Heute ist nicht mein Tag.' “

Eine Dreiviertelstunde später war der Monteur da und humpelte mit mir die Treppe hinauf. Er habe es im Knie, erklärte er. „Oje“, sagte ich, und dass wir immerhin nur in den ersten Stock müssten. Dort angekommen, drückte er sein Bein umständlich zur Seite, um den Werkzeugkasten abzustellen. Heraus zog er etwas, das aussah wie ein laminiertes Stück Pappe, eine sogenannte Öffnungskarte. Diese versuchte er nun zwischen Tür und Türrahmen hindurch zu schieben – es gelang ihm nicht, zumindest nicht an der richtigen Stelle. Er rüttelte an der Tür und drückte mit aller Kraft dagegen. Ich sah, wie sich das Holz oben und unten an der Tür bog, sodass ich schon befürchtete, es würde brechen. Doch auf der Höhe des Schlosses blieb alles fest. „Das gibts doch nicht!“, wiederholte der Mann vom Schlüsseldienst immer wieder, „Ich komme einfach nicht durch!“ Und dann hörte ich zum ersten Mal aus seinem Mund den Satz: „Heute ist nicht mein Tag.“

Etwas Gerüttel und Gefluche später versuchte er es mit einer Türklinkenangel aus Draht, die man durch den Spalt unter der Tür schieben musste. Doch auch dieser war zu eng und die Angel passte nicht hindurch. Der Mann wirkte mittlerweile etwas verzweifelt. „Ich komme aber heute schon noch in meine Wohnung?“, fragte ich. „Ja“, versicherte er mir und startete einen neuen Versuch mit der Karte. „Das ist mir noch nie passiert!“, rief er dabei kopfschüttelnd, „Eine zugezogene Tür. Heute ist nicht mein Tag!“ „Mir wäre es auch lieber gewesen, wenn ich sie heute nicht hätte anrufen müssen“, sagte ich. „Ja“, sagte er, „das glaube ich Ihnen.“

Nach einer gefühlten Ewigkeit gab sich der Schlüsseldienstmonteur auch mit der Öffnungskarte geschlagen. Er könne nun den Zylinder rausbohren, erklärte er mir, allerdings würde das Ganze damit 40 Euro teurer werden. Und er mache das wirklich sehr, sehr ungern, den Zylinder rausbohren, bei einer zugezogenen Tür. „Na ja“, sagte ich entschuldigend, „irgendwie muss ich ja wieder in meine Wohnung.“ Das passiere ihm einmal im Jahr, dass er bei einer zugezogenen Tür den Zylinder rausbohren müsse, erklärte er noch und dass er dafür Werkzeug aus dem Wagen holen würde. Er humpelte die Treppe hinunter, dann humpelte er sie wieder herauf – er hatte den Autoschlüssel im Werkzeugkasten vor meiner Wohnungstür liegen gelassen. Ich verkniff mir das Lachen. „Heute ist nicht mein Tag“, sagte er und humpelte wieder hinunter.

Schließlich war der Zylinder aufgebohrt, die Tür offen und ein neues Schloss eingesetzt. Ich hatte wieder Zugriff auf meine Geldbörse und stellte fest, dass ich für den Schlüsseldienst nicht genügend Bargeld hatte. „Kann man bei Ihnen auf Rechnung bezahlen?“ Der Monteur schüttelte den Kopf. „Mit Karte wahrscheinlich auch nicht?“ Wieder Kopfschütteln. „Ich wäre ja vorher etwas abheben gegangen“, entschuldigte ich mich, „aber meine Geldbörse war in der Wohnung.“

Ich machte mich auf zum nächsten Geldautomaten, der Mann vom Schlüsseldienst humpelte mit hinaus und blieb neben seinem Auto stehen, um dort zu warten. Sieben Minuten später war ich wieder zurück. Mittlerweile hatte es angefangen zu regnen, der Mann stand an seiner Wagentür gelehnt, das Bein nach vorne gestreckt. Ein paar Regentropfen liefen ihm über die Auftragsmappe und sein betrübtes Gesicht. Heute war wirklich nicht sein Tag. Ich bezahlte, er überreichte mir eine Quittung und die Schlüssel für das neue Schloss. Dann wünschten wir uns gegenseitig trotz allem noch einen schönen Abend, hofften auf bessere Tage und dass wir uns so bald nicht mehr wiedersehen würden.

Juliana Kálnay hat mittlerweile vorsorglich den ein oder anderen Ersatzschlüssel an einem sicheren Ort deponiert in der Hoffnung, den Schlüsseldienst – unabhängig davon wie gut oder schlecht ein Tag war – nie wieder anrufen zu müssen.