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Buchempfehlung

Wenn die Menschlichkeit auf der Strecke bleibt

Klara Hurkova
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Klára Hůrková geht der für den „Euregio-Schüler-Literaturpreis“ nominierte Roman von Toine Heijmans über eine Asylsuchende unter die Haut.

– von Klára Hůrková

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In Deutschland kommen jedes Jahr mehr als zehntausend Neuerscheinungen auf den Markt. Wer kann da noch den Überblick behalten? Wir! Einmal im Monat empfehlen Literaturkenner*innen und Vielleser*innen aus unserem Netzwerk ein Buch, das sich lohnt. Warum? Das beantwortet der Fragebogen.

Klára Hůrková, Autorin und Vorstandsmitglied des Literaturbüros in der Euregio Maas-Rhein, empfiehlt im Juni Pristina vom niederländischen Schriftsteller Toine Heijmans. Der Roman war in diesem Jahr für den „Euregio-Schüler-Literaturpreis“ nominiert, bei dem Schüler*innen aus Deutschland, Belgien und den Niederlanden aus insgesamt sechs aktuellen Titeln einen Favoriten wählen. Da die Auswahl an übersetzter niederländischsprachiger Literatur häufig sehr begrenzt ist, hat sich der EuregioKultur mit der Gründung des vereinsinternen Verlags edition amikejo das Ziel gesetzt, speziell für das Projekt geeignete niederländische Romane ins Deutsche übersetzen zu lassen und herauszugeben. Die von Ruth Löbner aus dem Niederländischen übersetzte deutsche Fassung von Pristina ist die erste Veröffentlichung der edition amikejo.   

Worum geht es?

Der Roman Pristina des niederländischen Autoren Toine Heijmans erzählt die Geschichte einer jungen Geflüchteten, Irin Past, die als Kind in die Niederlande kam, während in ihrer Heimat Krieg herrschte. Mittlerweile lebt sie, gut integriert und unter einem anderen Namen, auf einer Nordseeinsel. Doch ihre Akte fällt im Ministerium auf, sie wird aufgespürt und soll  zurück in ihre Heimat abgeschoben werden. Diese Aufgabe übernimmt der erfahrene Staatsbeamte Albert Drilling, der bereits viele illegale Geflüchtete erfolgreich „zurückgeführt“ hat. Doch Irins Unterlagen erweisen sich als lückenhaft und ihre Identität ist unklar, außerdem genießt sie die Sympathien und den Schutz der Inselbewohner. Da diese schon vor Drillings Ankunft von seinem Auftrag erfahren, beginnt ein spannendes Kräftemessen, bei dem die unglaublichen Verstrickungen legaler und illegaler Machtmittel in beeindruckender Weise geschildert werden. Wir lernen viel sowohl über die Methoden des Staates, illegale Migration zu bekämpfen, als auch über die Art und Weise, wie die Netzwerke der Geflüchteten funktionieren und welcher Tricks sich beide Seiten bedienen. Der Roman ist spannend geschrieben, in einer klaren Sprache mit dichten, stimmungsvollen Bildern.

Und worum geht es wirklich?

Hauptthema dieses Buchs ist der Konflikt zwischen den rechtsstaatlichen und politischen Strukturen eines demokratischen Landes und dem ethischen Anspruch jedes Menschen auf ein sicheres, würdevolles Leben. Natürlich wird es nicht als bloßer Kampf zwischen Gut und Böse dargestellt. Vielmehr zwingt uns der Roman darüber nachzudenken, inwiefern unsere westliche Zivilisation mit ihrer demokratischen Staatsform unseren ethischen Vorstellungen entspricht – und wo sie bei der Verwirklichung unseres oft proklamierten Konzepts der Menschlichkeit zu wünschen übrig lässt. Die Erkenntnis ist zum Teil ernüchternd.

Welches Zitat gehört an den Küchenschrank gepinnt?

„Im Laufe seiner Karriere bot (Don) seinen Kunden wirklich interessante Kombinationen aus Vor- und Nachnamen an, jetzt in der Überzeugung, ein Ausländer müsse auffallen, um eine Chance auf ein Leben außerhalb des Systems zu haben. Ein Name könne andere günstig stimmen oder Widerwillen wecken, das mache keinen Unterschied, sagte er, solange es hängenbleibe. Etwa zur selben Zeit prägte er für sich selbst den Begriff Namens-Alchemist.“

Wo liest man dieses Buch am besten?

Am besten zu Hause. Oder in einem literarischen Zirkel, wo man sich darüber austauschen kann. Vielleicht auch in der Schule. Es ist jedenfalls keine idyllische Urlaubslektüre.

Wer dieses Buch liest, sollte ...?

Obwohl das Buch von manchen Kritikern als „amüsant-tragische Satire“ wahrgenommen wird (Ewa Karnofsky in SWR2), bleibt der Leserin oft das Lachen im Halse stecken – besonders dann, wenn sie selbst einen Migrationshintergrund hat. Mir persönlich ist die Lektüre sehr unter die Haut gegangen, da ich selbst eine Zeit lang Asylsuchende war. Wer dieses Buch liest, sollte vielleicht die Perspektive der Geflüchteten nachzuvollziehen versuchen. Obwohl es sicher nicht einfach ist.

 

Das Buch:

Toine Heijmans: Pristina

Aus dem Niederländischen von Ruth Löbner

erschienen bei Edition Amikejo

Leverkusen 2022

345 Seiten