Magazin

Kolumne

Terminator und Trüffelpasta

Ein Männchen vor einem PC sitzend
© Nadine Redlich

Melanie Raabe über allmächtige Algorithmen, die uns anders beherrschen als gedacht.

– von Melanie Raabe

Bildrechte: © Nadine Redlich

Hier schreiben im Wechsel Christian Bartel, Juliana Kálnay und Melanie Raabe über Sätze, die ihnen hängengeblieben sind.

Jetzt ist es passiert: Der Algorithmus hat mich durchblickt.

Während ich mich neulich auf Instagram durch die Storys von Freundinnen und Freunden und diversen Prominenten tippte, wurde mir – na klar – auch immer wieder Werbung angezeigt. Mal mehr, mal weniger passende. Und dann tauchte ein Slide auf, das mich zum Lachen brachte: „Abnehmen mit Trüffelpasta?“, stand da über dem Foto eines Nudelgerichtes. Ich musste lachen, denn das schien furchtbar treffend.

Zum Hintergrund: Ich esse gerne, und ich esse viel. Auch ich habe während der Coronazeit an Gewicht zugelegt. Aber eine Diät mache ich erst, wenn die Hölle zufriert. Oder wenn – was ähnlich wahrscheinlich ist – man an Gewicht verlieren kann, indem man sich von Trüffelpasta, meinem erklärten Lieblingsgericht, ernährt.

Tatsächlich war ich einigermaßen beeindruckt von der plötzlichen Präzision des Algorithmus, der darüber entscheidet, welche Werbung mir in mein Feed gespült wird. Zuvor war er offenkundig verwirrt von meinem impulsiven Verhalten online und zeigte mir mal Medizinprodukte an und riet zu FAZ-Abos, weil er mich offenkundig für eine konservative Person um die 60 hielt, nur um bald darauf ins gegenteilige Extrem zu kippen und mir teenagergerechte Fashion und Kylie-Jenner-würdiges Make-up anzubieten.

Ein bisschen stolz war ich schon darauf, dass der Algorithmus noch nicht herausgefunden hatte, wer genau ich war. Auch wenn ich daran keinerlei Anteil hatte: Ich verwende Google und jede Menge Social-Media-Apps mit fragwürdigen Vorstellungen von Privatsphäre. Ich wünschte, es wäre anders, aber letztlich bin ich zu bequem, um mich ernsthaft umzustellen.

Dabei ist mir durchaus bewusst, dass der Zugriff der künstlichen Intelligenz auf unser Denken, Fühlen und Wollen Gefahren birgt. Ich weiß, dass viele Menschen, die klüger sind als ich, künstliche Intelligenz für eines der größten Probleme unserer Zukunft halten – so groß wie Klimakrise und Krieg.

„ Die Algorithmen kennen unsere geheimsten Gedanken. “

Wieso nutze ich all die bösen Apps trotzdem? Wieso belustigt es mich eher, wie gut der Algorithmus mich inzwischen – Stichwort Trüffelpasta – durchblickt, statt mir eine Heidenangst einzujagen? Ich bin nicht unbesorgt angesichts der Macht der Algorithmen. Ich empfinde eher eine Art Fatalismus, im Sinne von: Wieso über verschüttete Milch weinen? Der Flaschengeist ist raus aus der Buddel, und den kriegen wir da jetzt auch nicht wieder rein. Ich jedenfalls nicht.

In dieser fatalistischen Bequemlichkeit zu verharren, ist recht einfach. Denn unsere Blicke und Gedanken werden zwar von Algorithmen gelenkt, was schlimm ist – sich aber nicht wirklich schlimm anfühlt. Ich denke, die beinahe totale Herrschaft der Maschinen schreckt uns auch deswegen so erstaunlich wenig auf, weil wir sie uns ganz anders, nämlich viel offenkundiger brutal, vorgestellt haben.

Ich beispielsweise bin ein Kind der Achtziger, aufgewachsen mit Filmen wie Terminator. Für mich sah die Herrschaft der Maschinen absolut dystopisch aus, wie im Film eben. Aber mit dieser Vorstellung lagen die Filmemacher*innen und ich weit daneben. Die Herrschaft der KIs kommt nicht auf brutalste Weise über uns wie in Terminator. Es ist eine sanfte Gewalt, mit der wir regiert werden. Wir merken das kaum. Die Algorithmen kennen unsere geheimsten Gedanken. Sie spülen jungen Frauen die Windelwerbung in den Feed, noch ehe jene selbst wissen, dass sie schwanger sind. Sie sehen unsere Handlungen voraus, und so können sie uns steuern, so können sie beeinflussen, wen wir wählen, was wir glauben, wer wir sein wollen, wer wir sind.

Und wer bin ich? Ein Teenager jenseits der 60, dem es häufig zu anstrengend ist, nun auch noch über künstliche Intelligenz nachzudenken. Ich befasse mich lieber mit Urlaubsfotos und Katzenvideos in meinem Instagram-Feed und auf gar keinen Fall mit kalorienreduzierter Trüffelpasta.

Melanie Raabe legt auch immer wieder Social Media-Pausen ein. Man kann nur vermuten, dass der Algorithmus davon nicht begeistert ist.