Magazin

Buchempfehlung

Den Hund überleben

Christian Neidhardt
© privat

Christian Neidhart vom Verlag Kiepenheuer & Witsch liest das Debüt von Stefan Hornbach im alten Kinderzimmer.

Bildrechte: © privat

In Deutschland kommen jedes Jahr mehr als zehntausend Neuerscheinungen auf den Markt. Wer kann da noch den Überblick behalten? Wir! Einmal im Monat empfehlen Literaturkenner*innen und Vielleser*innen aus unserem Netzwerk ein Buch, das sich lohnt. Warum? Das beantwortet der Fragebogen.

Christian Neidhart aus dem Lektorat des Verlags Kiepenheuer & Witsch empfiehlt im April Den Hund überleben von Stefan Hornbach:

Worum geht es?

Sebastian ist noch nicht ganz 25 Jahre alt, als er die Diagnose erhält. Was vorher vom Hausarzt für eine dritte Niere gehalten wurde und sich durch ein Stechen in der Flanke bemerkbar macht, ist einer von drei Tumoren. Sebastian unterbricht sein Studium in Gießen und zieht wieder bei seinen Eltern ein. Der Sommer naht und die Chemotherapie steht an … Sebastians Freundinnen Su und Jasna, die kaum unterschiedlicher sein könnten, seine Mutter, sein Vater und der alte Hund sind für ihn da, nehmen alte und neue Rollen an und sorgen dafür, dass sein Horizont nicht zu eng wird.

Und worum geht es wirklich?

Jasna sagt es einmal so: „Ich glaube, es geht hier vor allem ums Erwachsenwerden.“ Sebastian kehrt zwar in sein Kinderzimmer zurück, muss sich aber gleichzeitig mit existenziellen Fragen auseinandersetzen und Entscheidungen treffen. Er stellt sich den Dingen und lernt so automatisch dazu – auch Alltägliches. Als er es zum ersten Mal in seinem Leben geschafft hat, einen Luftballon aufzublasen, nimmt er sich vor, als Nächstes zu lernen, wie man vernünftig Schuhe bindet (statt nur zwei Schlaufen miteinander zu verknoten) oder Uhren ohne Digitalanzeige liest … Zwar beginnt Sebastian auch eine Liste mit „größeren“ Zielen, die er noch zu Lebzeiten erreichen möchte (wie sich das für eine solche Geschichte vielleicht eigentlich gehört), aber als er sich vorstellt, wie seine Mutter den Zettel nach seinem Tod findet, reißt er ihn in kleine Stücke. Während die Therapie anschlägt und mehr und mehr an ihm zehrt, sind es aber ohnehin nur die alltäglichen Dinge, die zusätzlich bewältigt werden wollen. Und so reicht es ihm schließlich, zu lernen, wie man etwa eine Wassermelone richtig aufschneidet. Oder es sich zumindest vorzunehmen. Insgesamt geht es also auch einfach ums Leben, oder eher: ums Klarkommen.

Welches Zitat gehört an den Küchenschrank gepinnt?

Vielleicht nicht an den Küchenschrank gepinnt, aber dick unterstrichen oder zumindest mehrmals gelesen: „Für jede Wimper, die mir ausging, erfand ich einen Wunsch. Meistens banale Wünsche wie: Eine Banane bitte. Und schon lag eine im Obstkorb. (…) Wir alle sehnten uns nach guten Neuigkeiten. Außer der Hund, dem war der Wald Freude genug. Auch ich hatte gelernt, die Schönheit des Entenweihers erkennen zu können.“

Wo liest man dieses Buch am besten?

Im elterlichen Heim. Alltagsszenen in Den Hund überleben sind meist Familienszenen. Wie die Dynamik zwischen Vater, Mutter und Sohn grundsätzlich erhalten bleibt, während sich alle an die neue Situation anzupassen versuchen, ist auch deshalb so bewegend, weil es so unaufdringlich und leise geschildert wird. Ganz unscheinbare Aussagen können Zuneigung, Angst und Überforderung zugleich ausdrücken.

Als Sebastian die Haare ausgehen, bekommt er eine Wollmütze geschenkt. Damit liegt er auf dem Sofa, als der Vater reinkommt. „Guten Morgen, begrüßte er mich, schaute mich an und fügte hinzu: Du Schlumpf.“ Vielleicht wirken solche Momente noch stärker, wenn jederzeit die eigenen Eltern reinkommen und etwas Ähnliches sagen könnten …

Wer dieses Buch liest, sollte ...?

… versuchen, das Thema an sich ranzulassen. Ich bin eigentlich weder besonders abergläubisch noch würde ich mich als Hypochonder bezeichnen, aber diese Krankheit ist für mich ein „Du weißt schon was“, dessen Namen ich am liebsten gar nicht aussprechen möchte. Umso beeindruckender finde ich es, wie Stefan Hornbachs Roman es schafft, mir gerade durch seine nüchterne, nichts beschönigende Art die Angst zu nehmen. Statt mit großen emotionalen Worten den Mut im Kampf gegen ein schweres Schicksal zu romantisieren, wird in diesem Buch ein Leben beschrieben, das erst mal noch weitergeht. Nicht die erlösende Überwindung eines Problems steht dabei im Fokus, sondern zunächst einmal das Annehmen desselben. Dass das auch schon eine ganze Menge sein kann, nehme ich als beruhigende, geradezu befreiende Message wahr, die ich in dieser Form nie zuvor gelesen habe.

Das Buch:

Stefan Hornbach: Den Hund überleben

erschienen beim Hanser Verlag

München 2021

288 Seiten