Magazin

Kolumne

Kein bisschen Spaß muss sein

Illustration mit einem Männchen und einem Schild mit durchgetrichenem Smiley
© Nadine Redlich

Melanie Raabe über eine Floskel in komplizierten Zeiten.

– von Melanie Raabe

Bildrechte: © Nadine Redlich

Hier schreiben im Wechsel Christian Bartel, Juliana Kálnay und Melanie Raabe über Sätze, die ihnen hängengeblieben sind.

„Spaß wünschen wir Ihnen nicht.“ Dieser Satz geht mir wieder und wieder durch den Kopf, seit ich – zum ersten Mal seit Beginn der Pandemie – wieder eine Theaterperformance gesehen habe.

Ich habe diesen Satz so zuvor noch nie gehört. Für gewöhnlich wünschen wir uns gegenseitig ja ausdrücklich jede Menge positive Dinge und Emotionen: Gesundheit, Glück, ein frohes neues Jahr – und natürlich bei jeder Gelegenheit: viel Spaß!

Und dann plötzlich dieses „Spaß wünschen wir Ihnen nicht“. Eine merkwürdige Einführung in ein Theaterstück – könnte man meinen. Ich hörte diesen Satz zu Beginn einer Theaterperformance, die sich auf besondere Art und Weise mit der NS-Zeit auseinandersetzte: Die Texte, die gesprochen wurden, waren die Stimmen von Tätern und Täterinnen. Es dauerte nicht lange, bis sich mir ein paar Fragen aufdrängten. Was mache ich hier, weshalb tue ich mir das an? Und was machen die hier, die, das Ensemble, die Crew, die ganze Produktion, weshalb tun die sich (und uns) das an?

Sprechen die Texte von Nazis nach, inszenieren die Texte von Nazis, bieten ihnen ein Forum? Hier, im Kölner El-DE-Haus, dem ehemaligen Sitz der Kölner Gestapo, mit hauseigenem Gefängnis im Keller, das heute als Erinnerungsstätte dient.

Einen Teil der Antwort auf meine Fragen kannte ich bereits, seit ich mit meiner Freundin Charlotte durch Köln spaziert war und sie mir von diesem Projekt berichtet hatte, an dem sie gerade arbeitete. Sie lese all diese Texte, erzählte sie damals, sie wähle aus, kuratiere, und mache sich Gedanken darüber, wie man sie inhaltlich einordnen, begleiten, kontextualisieren könne. Sie hatte sich schließlich für einen Chor entschieden, der die schwer erträglichen Stimmen, die während der Performance zu hören sind, ankündigt, einordnet und begleitet – und der dann auch zu Beginn der Performance den Satz äußert, der mir im Kopf nachhallte.

Und Spaß hat man dann auch nicht – im allerbesten Sinne. Und wenn ich so darüber nachdenke, habe ich das Gefühl, dass wir noch viel häufiger keinen Spaß haben sollten.

„ Wenn ich so darüber nachdenke, habe ich das Gefühl, dass wir noch viel häufiger keinen Spaß haben sollten. “

Ich habe den Eindruck, dass derzeit praktisch alles verfügbar, klickbar, ein- und abschaltbar ist, dass alles leicht und leicht verdaulich sein und idealerweise natürlich auch Spaß machen soll. Es gibt Bratwurst oder Kölsch zur Coronaschutzimpfung, und als ich neulich beim Zahnarzt war und eine Behandlung brauchte, erhielt ich nicht nur eine Spritze zur Betäubung, sondern vorher wurde auch noch ein Gel aufgetragen, um den Piks weniger schmerzhaft zu machen. Eine Betäubung für die Betäubung.

Nun bin ich per se ein großer Fan von Spaß, mein wichtigster Neujahrsvorsatz für 2022 nach zwei Jahren Pandemie lautete „mehr Vergnügen“. Und ich bin dankbar für Schmerzspritzen und -gels und was es alles gibt. Aber für manche Dinge darf es keine Betäubung geben, und ich finde den Gedanken, dass man bewusst mehr Dinge tun sollte, die keinen Spaß machen, wichtig.

Das ist natürlich eine Gratwanderung. Das ist das Gegenteil der „Self care“, die wir doch gerade jetzt praktizieren sollen. Aber derzeit ist alles eine Gratwanderung. Irgendwer hat den Kontrast hochgedreht: Wenn ich durch meinen Feed auf Instagram scrolle, stehen die Bilder der von Sea Watch aus dem Mittelmeer geretteten Menschen neben Fotos von französischer Cuisine, ausufernden Querdenker-Demos und Urlaubsfotos meiner frisch geboosterten Freundinnen.

Die „Wetten, dass ...?“sche Gemütlichkeit ist zurück, und Geflüchtete irren durch die osteuropäischen Wälder; das Klima kollabiert, und im Donutshop bei mir ums Eck gibt es achtzehn verschiedene Sorten; der Faschismus ist zurück, und wir gehen endlich wieder zum Yoga. Es sind komplizierte Zeiten.

Spaß wünsche ich uns … nur manchmal.

Melanie Raabe macht regelmäßig Pausen von Instagram. Das Nebeneinander von Querdenker-Demos und Urlaubsfotos hilft zwar, die Spannweite der Gegenwart zu begreifen – manchmal ist es aber auch einfach anstrengend. Und damit auch kein Spaß.