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Zum Tod von Klas Ewert Everwyn: Ein Kämpfer, in Wort und Tat

Klas Evert Everwyn
© Brigitte Friedrich/Süddeutsche Zeitung Photo

Im Alter von 91 Jahren ist der Schriftsteller Klas Ewert Everwyn gestorben. Ein Nachruf.

– von Jens Prüss

Bildrechte: © Brigitte Friedrich/Süddeutsche Zeitung Photo

Was konnte er sich aufregen, der Klas. Dann sprang er auf, ruderte mit den langen Armen in der Luft, rief: „Macht euren Scheiß doch allein!", setzte die Schirmmütze auf und knallte die Tür. Erstmals so erlebt 1980 in einer Literaturwerkstatt in Düsseldorf. Noch mehr als dieser temperamentvolle Abtritt beeindruckte mich Neuling die Reaktion der Anwesenden in der Villa Engelhardt. Sie fuhren ungerührt fort, ihren „Scheiß" zu machen, lasen sich aus ihren Texten vor, kritisierten sie – es sollte schließlich ein Buch daraus werden. Beim nächsten Treffen war Klas Ewert Everwyn wieder dabei, lachte, charmierte, sang, als wäre nichts gewesen. Da begriff ich, das Drama gehört zu Everwyn wie seine Schiebermütze.

Wenn Everwyn sich nicht mehr aufregte, musste man sich Sorgen machen. Denn die Empörung war ein Motor seines Schreibens. Nicht ohne Kalkül platzierte er sich 2014 bei einem seiner letzten Pressetermine vor dem Düsseldorfer Polizeipräsidium, schräg über seiner Mütze die Innschrift in Gold auf schwarzem Grund: „Vor dem Gesetz sind alle Menschen gleich.“ Das Foto wurde für seine Novelle „Der Opfergang des Polizisten Franz Jürgens“ gemacht, aber der Spruch war das Mantra seines Schreibens. Alles Ungerechte brachte Everwyn in Harnisch. Vor allem für die namenlos Benachteiligten nahm er Partei.

Und was für ein Werk aus dieser Empörung entstanden ist. Michael Serrer, einer meiner Nachfolger beim Literaturbüro NRW, nennt seine Schaffenskraft in einem „Ehrenwort"-Band anlässlich seines  75. Geburtstags „legendär". So sind über die Jahre über 20 Romane bei verschiedensten Verlagen erschienen, darüber hinaus eine unüberschaubare Zahl von Erzählungen und Hörspielen. Geboren ist Klas Ewert Everwyn am 10. März 1930 in Köln, wo er auch zur Schule ging. Als 15-Jähriger wurde er als Fronthelfer eingesetzt.

In „Jetzt wird alles besser“, einem Roman über seine Jugend, erzählt Everwyn, der Krieg habe ihn wachgerüttelt. Als die Amerikaner in ihren gebügelten Uniformen einmarschieren, mag in seinem Kopf etwas eingesetzt haben, vermutete Everwyn: „Ein Denkprozess, der mich letztendlich auch diese neue Sache, die man ‚Demokratie‘ zu nennen lernte, als eine große Chance für die Menschheit begreifen ließ."

Wer historisch arbeitet, wird in Everwyns Romanen einen großen Fundus finden. So hat er bis ins Wetter die napoleonische Zeit recherchiert. Jahrelang in Archiven, Tagebüchern und historischen Romanen nach dem Geist und nach den Lebensgewohnheiten dieser Epoche geforscht. In „Sterben kann ich überall“ hat er einen Speisezettel der Reichen und Armen haarklein studiert, um den krassen Widerspruch zwischen Herrschenden und Untertanen deutlich zu machen. In einem Interview Ende der 90er-Jahre zu seiner rheinisch-bergischen Historien-Trilogie erklärte er mir einmal seine Pingeligkeit: „Die Akten wurden ja immer von Beamten geführt. Und die vertraten stets die Interessen der Obrigkeit. Aber ich musste ja auch wissen, wie lebten die Menschen damals, welche Kleider trugen sie, wie sahen ihre Häuser aus usw.“ Mit den Menschen meinte er Weber, verarmte Bauern, Waldarbeiter, Tagelöhner. Vor allem im Roman „Für fremde Kaiser und kein Vaterland“ gelangen ihm Schilderungen des Überlebenskampfes in einer Härte, die ich als Rezensent damals mit Texten von Heiner Müller verglich. Zu Recht bekam er 1986 dafür den Deutschen Jugendliteraturpreis.

„ Wenn es um die Wahrheit ging, riskierte er Kopf und Kragen. “

Everwyn, dem die Rebellen so am Herzen lagen, war selbst ein Aufmüpfiger. Wenn auch in bürgerlicher Camouflage. Er schlug eine Verwaltungslaufbahn ein, arbeitete als Beamter in Düsseldorf und Neuss. Mich tadelte er einmal, weil ich ein Din-A4-Blatt seiner Meinung nach falsch in die Plastikhülle schob. Aber wenn es um die Wahrheit ging, riskierte er Kopf und Kragen. So deckte er, in seinem 1980 erschienen Roman „Die Stadtväter“ Machenschaften in der Neusser Verwaltung auf und verlor daraufhin seinen Job. In „Der Dormagener Störfall von 1996“ legte er sich mit einem Chemiekonzern an, wohingegen die Gemeinde sich kleinlaut wegduckte. Irgendwie folgerichtig, dass er mit viel Hartnäckigkeit einen Gedenkstein für den „Knüppelrussen“ Johann Wilhelm Pauli in Waldbröl erstritt. Bis zuletzt herrschte in der Kleinstadt die Meinung vor, dass der Hungeraufstand der bergischen Rekruten ein Werk von Chaoten war. Ein wenig, so mein Eindruck, hatte Everwyn auch für sich selbst gekämpft.

Am frühen Morgen des 16. Januar 2022 hörte Klas Ewert Everwyn in Monheim auf zu kämpfen. Stattliche 91 Jahre war er geworden. Was für ein erfülltes Leben. Seiner Familie und den Freunden hinterließ er einen letzten Gruß: „Es war doch schön in der Welt und mit euch. Macht's gut!“ Was ja auch heißt: Lasst euch nicht unterkriegen.

Jens Prüss ist Autor, Kabarettist und Journalist. Von 1988 bis 1993 leitete er das Literaturbüro NRW in Düsseldorf. Mit Klas Evert Everwyn verband ihn eine jahrelange Freundschaft.