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Götter und Dämonen an der Erft

Horst Eckert über die Orangerie von Museum Insel Hombroich.

Sie war die größte Stadt der Welt. Khmer-König Jayavarman VII. gründete Angkor Thom vor über achthundert Jahren. Ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem garantierte drei Reisernten im Jahr und damit den Reichtum der Stadt. Heute hat sie der Dschungel erobert, aber was aus Stein errichtet wurde, ist noch erhalten, zumindest als Ruine. Wer das Areal durch eines der fünf Stadttore verlässt, durchquert den umgebenden einhundert Meter breiten Wassergraben auf einem Damm. Als Brüstung dienen lange Reihen steinerner Figuren: Götter und Dämonen, die eine Schlange tragen und damit einen Teil der damals erzählten Weltschöpfungslegende verkörpern.

Auf dem Damm, der nach Süden führt, fehlt sieben Statuen in Folge der Kopf.

Einen Dschungel gibt es auch an der Erft bei Neuss-Holzheim. Karl-Heinz Müller, reich geworden als Makler von Industrieimmobilien, erwarb in den 80er-Jahren fünfundzwanzig von Wasser umgebene Hektar Land, nannte sie Insel Hombroich und ließ darauf Pavillons für seine Kunstsammlung errichten. Heute verwaltet und pflegt eine Stiftung seinen Nachlass. Wir überqueren einen Wassergraben, spazieren durch Gelände, das weitgehend der Natur überlassen wird, und gelangen in einen Pavillon, der Orangerie heißt. Dort thronen auf weißen Säulen die sieben Köpfe von Angkor Thom.

Ihre achthundert Jahre alten Augen blicken durch die gläserne Front der Orangerie in das Dickicht an der Erft. Den Göttern und Dämonen fehlen die Körper. Und sie tragen auch keine Schlange, mit deren Hilfe sie einst einen großen Milchsee quirlten und so zur Erschaffung der Welt beitrugen. In diesem Mythos spielten auch die Gottheiten Vishnu und Brahma eine Rolle sowie der heilige Berg Meru, der in Jayavarmans Hauptstadt vom Tempel Bayon verkörpert wurde.

Die Insel Hombroich ist ein Ort der Ruhe, vielleicht auch der Meditation. Einzigartig in seiner Kombination aus rheinischer Natur, Pavillons, die eigentlich Skulpturen sind, und der darin ausgestellten Kunst. Kein Jahr vergeht, ohne dass ich diesen Ort besuche. Am liebsten zur Zeit der Rhododendronblüte. Und immer muss ich dabei die Orangerie betreten.

Die sieben Khmer-Artefakte wirken archaisch und fremd. Sie sind magisch. Götter und Dämonen eben. Aber jedes Mal, wenn ich bei ihnen bin, erinnere ich mich auch an die Trauer, die mich befiel, als ich vor Jahren auf der südlichen Ausfallstraße des alten Angkor Thom vor den Steinfiguren stand, denen jemand die Köpfe abgeschlagen hat.

Vita

Horst Eckert, geboren 1959 in Weiden in der Oberpfalz, lebt seit vielen Jahren als freier Autor in Düsseldorf. Er gilt als „der wichtigste Vertreter des hartgesottenen Kriminalromans in Deutschland“ (Ulrich Noller, WDR). Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit als Krimi- und Thriller-Autor verfasst er auch Kurzgeschichten und lehrt in Schreibseminaren.