Textstellen

Angst-Bunker

Christina Bacher über eine besondere Begegnung in einem Hochbunker in Köln-Deutz.

Hätt‘ ich Platzangst, wär ich nicht hier, oder? Überhaupt. Denkst du, ich kümmer mich um Luxusprobleme wie Angst? Hab ich gar keine Zeit für. Bin komplett davon befreit worden, sozusagen von Geburt an. In einer Dreckszeit in eine Scheißfamilie reingeboren, hab die Angst also lieber gleich mit dem ersten Atemzug abgegeben. War besser so. Hätt‘ ich sonst nicht überlebt. Bin ein Kriegskind. Nachkriegskind. Bomben-Balg. Augen zu und durch. Hilft mir jetzt auch beim Leben, macht vieles einfacher, wenn man sich nicht fürchtet. Gehst überall rein, ran, rüber. Denkst nie, es könnt‘ was passieren. Kommste weiter im Leben – so ganz ohne Angst. Glaub mir. Der Bunker schützt mich zusätzlich – vor Bomben, vor Krankheiten, vor was du willst. Hast recht, sind vor allem die Menschen, vor denen ich hier Ruhe hab. Ich mein, das Ding ist von 1943 – wie ich. Hier drin merkste nix von Zeit, wie die vergeht und so. Für die draußen bin ich alt. Ein Penner. Ein Nichtsnutz. N’ Opi. Hier im Bunker bin ich wer. Der König. Der Chef. Der einzige Überlebende von mir aus. Bin der, der alles im Griff hat. Hier steht die Zeit still. Hück steiht de Welt still. Hat meine Oma gesagt. Die sprach nur Kölsch. War ’ne feine Frau. Kannte den Technik-Tiefkeller unten wie ihre Westentasche. Auch den, der die Technik bedient hat. War oft hier gewesen, wenn Bombenalarm war. Ich brauch keinen Alarm, um zu merken, dass da draußen was nicht stimmt. Merkste doch selbst, oder? Ist Krieg in Europa. Ist Krieg auf den Straßen. Ist Krieg in den Birnen. Hier oben, im Hirn der Menschen, stimmt‘s nicht mehr. Alle machen weiter wie bisher. Bekloppt! Menschen sind eh das Letzte, am besten, man bricht den Kontakt ab. Gut, dass mein Bunker immer zu ist. Gibt nur meinen Schlüssel. Kommt sonst keiner rein. Ist ja auch extra so gebaut, dass er aussieht wie ’ne Kirche. Schlau, was? Ist ’ne gute Tarnung, wenn mal was wär. Ich mein, nicht, dass ich Angst hätte. Will nur noch ein paar Jährchen leben. Hier bin ich sicher. Hab Strom, Wasser, Vorräte. Die hab ich im Maschinenraum versteckt. Haste was dabei? So als Gastgeschenk? Nehme alles, was haltbar ist. Bin kein Prepper, bin nur gut präpariert, sag ich immer. Ich leb gern hier, grade jetzt, wo‘s draußen kalt wird. Glaubste nicht, was? Dass das ein warmer, sicherer, heimeliger Ort sein kann. Wie biste eigentlich reingekommen? Hab mir geschworen, sobald einer vom Bunker hier erfährt, ist er fällig. Kann ich nicht riskieren, dass mich einer verrät. Einer wie du, der zufällig hier reinstolpert. N‘ Naseweis. Krawattenträger. Einer, der am Ende noch seine verdammte Angst mitbringt. Ist‘n angstfreier Raum, mein Bunker. Verstehste? Eins musste wissen. Über mich. Ich bin hier geboren, genau hier. Da vorne stand die Pritsche, meine Mutter drauf und Wehen wegatmen, hieß es. Hast die wohl nicht mal schreien hör‘n, weil draußen Bombenhagel war. Der 29. Juni 1943 hat die Welt verändert. Da wurd einer geboren, der keine Angst hat. Einer, der alles checkt. Der sich nicht einschüchtern lässt. Nicht so wie du, der wie Espenlaub am ganzen Körper zittert. Weißte, musst eins verstehen. Der Bunker ist und bleibt meine einzige Adresse, die ich jemals haben werde. Lass ich mir von Leuten wie dir nicht kaputt machen.

Vita

Christina Bacher, geboren 1973 in Kaiserslautern, arbeitet neben ihrer Tätigkeit als Chefredakteurin des Kölner Straßenmagazins „Draussenseiter“, auch als Journalistin, Moderatorin und Dozentin. Sie war Stipendiatin der Antoniterkirche und des Kölner Kulturamts, Inselschreiberin auf Juist und wurde 2020 mit dem Sonderfonds der Kulturstiftung NRW ausgezeichnet.