Autor*innen-Porträts

Christian Dietrich Grabbe

11. Dezember 1801 – 12. September 1836

Christian Dietrich Grabbe, Lithografie von Wilhelm Severin nach einer Zeichnung von Joseph Wilhelm Pero

Autor und Ort

Christian Dietrich Grabbe lebte zwei Jahre lang in der Ritterstraße 21 in der Düsseldorfer Altstadt. An der Stelle des ursprünglichen Wohnhauses befindet sich heute ein Nachkriegsbau. Auf einer dort angebrachten Steintafel heißt es: „In diesem Haus litt und stritt der Dichter Christian Dietrich Grabbe 1834–1836“, ein Verweis auch auf den Gemütszustand des Dichters. Nach allen Misserfolgen – privat, beruflich und künstlerisch – war er depressiv und alkoholabhängig. Wohl nicht zufällig kehrt die Bronze-Büste Grabbes im Hofgarten der Altstadt den Rücken und wendet sich dem Schauspielhaus zu, auf dem die ganze Hoffnung des Dichters ruhte. Auch der Grabbeplatz, der von der Kunstsammlung K20 und der Kunsthalle Düsseldorf flankiert wird, erinnert an den Dichter, der über seine Ankunft in Düsseldorf schrieb: „Nachdem mein Geschäft beendigt war, wollt ich mir das Rätsel aufklären, wie Düsseldorf, eine Mittelstadt, mehr wissenschaftliche und künstlerische Data geboten und bietet, als manche weit größere Hauptstadt.“

Leben und Werk

Christian Dietrich Grabbe wurde am 11. Dezember 1801 in Detmold geboren. Schon während der Schulzeit schrieb er erste dramatische Texte, studierte aber zunächst Jura in Leipzig und Berlin, wo er auch Heinrich Heine kennenlernte. Nach dem Abschluss des Studiums versuchte er vergeblich, an einem deutschen Theater als Schauspieler oder Regisseur zu arbeiten; schließlich kehrte er nach Detmold zurück und legte 1824 sein Juristisches Staatsexamen ab.

In Detmold konnte er beruflich nicht Fuß fassen; erst 1826 übernahm er eine unbezahlte Vertretung, der schließlich dann doch eine feste Anstellung folgte. Parallel bemühte er sich weiterhin, am Theater unterzukommen. 1829 wurde in Detmold Don Juan und Faust uraufgeführt – es blieb die einzige Aufführung eines seiner Dramen zu Lebzeiten. Ab 1831 verschlechterte sich sein Gesundheitszustand als Folge übermäßigen Alkoholkonsums deutlich; zudem trennte sich seine Verlobte Henriette Meyer von ihm.

1833 heiratete er Louise Christina Clostermeier, aber die Ehe erwies sich schnell als unglücklich. Ein Jahr später gab er sein Amt auf und reiste über Frankfurt am Main, wo er sich mit seinem Verleger überwarf, nach Düsseldorf. Dort arbeitete er mit Karl Immermann, den er 1831 kennengelernt hatte, an dem von diesem erneuerten Stadttheater. Trotz seines komplizierten Charakters war die Zusammenarbeit der beiden zunächst fruchtbar; Grabbe rezensierte einen Teil von Immermanns Werken und schrieb Theaterkritiken, außerdem arbeitete er an zwei eigenen Stücken – zur Aufführung kam allerdings keines der eigenen Werke auf der Düsseldorfer Bühne. Doch auch diese Zusammenarbeit dauerte wegen der Depressivität und der Alkoholexzesse Grabbes nicht lange. 1836 kehrte er noch einmal nach Detmold zurück; seine Frau reichte die Scheidung ein. Noch im gleichen Jahr starb Grabbe in seiner Geburtsstadt an Rückenmarksschwindsucht.

Grabbe war neben Georg Büchner der bedeutendste Erneuerer des deutschsprachigen Dramas seiner Zeit. Er war beeinflusst von Shakespeare und dem Sturm und Drang. Durch die Auflösung der Formenstrenge des klassischen Dramas in eine Folge locker verbundener Szenen und die pessimistische Weltsicht wurde er zum Wegbereiter des Realismus auf der Bühne. Mit den Massenszenen und schnellen Szenenwechseln in seinen Dramen überforderte er allerdings die damalige Theater- und Bühnentechnik.

Nach seinem Tod zunächst weitgehend vergessen, wurde Grabbe später von den Vertretern des Expressionismus – und dann auch den Anhängern des Nationalsozialismus, die sich vor allem auf Grabbes latente Judenfeindlichkeit und „völkische“ Themen wie die Herrmannschlacht stürzten, wiederentdeckt.

Von Maren Jungclaus

Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung (Dramenauszug, 1827)

Rattengift (sitzt an einem Tische und will dichten). Ach, die Gedanken! Reime sind da, aber die Gedanken, die Gedanken! Da sitze ich, trinke Kaffee, kaue Federn, schreibe hin, streiche aus, und kann keinen Gedanken finden, keinen Gedanken! – Ha, wie ergreife ichs nun? Halt, halt! was geht mir da für eine Idee auf? – Herrlich! göttlich! eben über den Gedanken, daß ich keinen Gedanken finden kann, will ich ein Sonett machen, und wahrhaftig dieser Gedanke über die Gedankenlosigkeit, ist der genialste Gedanke, der mir nur einfallen konnte! Ich mache gleichsam eben darüber, daß ich nicht zu dichten vermag, ein Gedicht! Wie pikant! wie originell! (Er läuft schnell vor den Spiegel.) Auf Ehre, ich sehe doch recht genial aus! (Er setzt sich an einen Tisch.) Nun will ich anfangen! (Er schreibt.)

Sonett.

Ich saß an meinem Tisch und kaute Federn,

So wie – –

Ja, was in aller Welt sitzt nun so, daß es aussieht wie ich, wenn ich Federn kaue? Wo bekomme ich hier ein schickliches Bild her? Ich will ans Fenster springen und sehen, ob ich draußen nichts Ähnliches erblicke! (Er macht das Fenster auf und sieht ins Freie.) Dort sitzt ein Junge und kackt – Ne, so sieht es nicht aus! – Aber drüben auf der Steinbank sitzt ein zahnloser Bettler und beißt auf ein Stück hartes Brot – Nein, das wäre zu trivial, zu gewöhnlich! (Er macht das Fenster wieder zu und geht in der Stube umher.) Hm, hm! fällt mir denn nichts ein? Ich will doch einmal alles aufzählen, was kauet. Eine Katze kauet, ein Iltis kauet, ein Löwe – Halt! ein Löwe! – Was kauet ein Löwe? Er kauet entweder ein Schaf, oder einen Ochsen, oder eine Ziege, oder ein Pferd – Halt! ein Pferd! – Was dem Pferde die Mähne ist, das ist einer Feder die Fahne, also sehen sich beide ziemlich ähnlich – (jauchzend.) Triumph, da ist ja das Bild! Kühn, neu, calderonisch!

Ich saß an meinem Tisch und kaute Federn,

So wie (indem er hinzuschreibt) der Löwe, eh der Morgen grauet,

Am Pferde, seiner schnellen Feder kauet –

(…) Nein, nein! So eine Metapher gibt es noch gar nicht! Ich erschrecke vor meiner eignen poetischen Kraft!

(zitiert nach: Christian Dietrich Grabbe: Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung. Ein Lustspiel in drei Aufzügen. Philipp Reclam jun., Leipzig 1872.)